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Erna Wazinski

Nachruf auf das Opfer: Mit diesem Plakat, schwarze Schrift auf rotem Grund, wurde 1944 in Braunschweig und Wolfenbüttel die vollzogene Hinrichtung Erna Wazinskis bekannt gegeben.

Aufhebung des Todesurteils gegen Erna Wazinski

Freispruch, doch Nazi-Urteil ist nicht nichtig

Noch im Jahre 1965 bestätigte das Landgericht Braunschweig das Todesurteil gegen Erna Wazinski

Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 7.10.1965
12 AR 99/65 (1 Sond. KLs 231/44)

in dem Verfahren nach dem Strafhaftentschädigungsgesetz in Sachen
Erna Wazinski

( … )

Bei der Entscheidung dieser Frage (der Frage nach der Richtigkeit des Todesurteils vom 21.10.1944 gegen Erna Wazinski – Anm. H. K.) hatte sich die Kammer ( … ) allein von der Gesetzeslage leiten lassen, an die die Richter zum Zeitpunkt der Aburteilung der Angeklagten gebunden waren. Auf die Prüfung dieser Frage hat die Strafkammer besondere Sorgfalt deshalb verwendet, weil die 3. Zivilkammer des Landgerichts in dem Urteil des Sondergerichts schwere Rechtsfehler erkennen zu können glaubte.

1. Die Verordnung gegen Volksschädlinge vom 05.09.1939 (Reichsgesetz-blatt I, S. 1679), die in ihrem § 1 denjenigen mit dem Tode bedrohte, der „im freigemachten Gebiet oder in freiwillig geräumten Gebäuden oder Räumen plünderte“, war geltendes Gesetz (im materiellen Sinne). Während der Geltungsdauer der Volksschädlingsverordnung mussten die Strafgerichte nach ihr erkennen, wenn und soweit ihre Tatbestände erfüllt waren.

(…)

Inhaltlich konnte die Volksschädlingsverordnung nicht als schlechthin unverbindliches, weil unsittliches, die Richter des Jahres 1944 nicht bindendes Gesetzesrecht angesehen werden.

Die Verordnung war darauf gerichtet, dem durch Kriegswirren besonders gefährdeten Eigentum Schutz zu verleihen (…). Sie bezweckte, wie es das Reichsgericht formuliert hat, eine wirksame Bekämpfung von Straftaten während des Krieges und zielte darauf ab, die Belange der Allgemeinheit, nämlich die Erhaltung des Rechtsfriedens in der Heimat und das Vertrauen der zum Heeresdienst Einberufenen hinsichtlich ihrer Belange in der Heimat zu schützen (RG DR 1940, 1231). Ausgehend vom Sinn und Zweck der Volksschädlingsverordnung hält jedenfalls die Kammer dafür, dass durch die Verordnung als solche nicht jener gewisse Kernbereich des Rechts angetastet worden ist, der nach allgemeiner Rechtsüberzeugung von keinem Gesetz und keiner sonstigen obrigkeitlichen Maßnahme verletzt werden darf (BGH NJW 1953, 351).

(…)

Bei Gültigkeit der Volksschädlingsverordnung und Zulässigkeit ihrer entsprechenden Anwendung auf Plündereifälle im Zusammenhang mit Luftangriffen ist die Anwendung des damals geltenden Rechts auf den festgestellten Sachverhalt durch das Sondergericht nicht zu bemängeln (…). Der vom Sondergericht festgestellte Sachverhalt trägt, daran besteht kein Zweifel, bei der gebotenen Zugrundelegung der damaligen Gesetzeslage, den Schuld- und Strafausspruch.

(…)

Über diese vom Sondergericht nach damaliger Gesetzeslage rechtsfehlerfrei bejahten Voraussetzungen hinaus war für eine Verurteilung aufgrund des Plündereitatbestandes ferner erforderlich, dass der Täter von der Wesensart eines Volksschädlings war (RGSt 74, 199; DR 1940, 1422; DR 1974, 447 Nr. 20 und Nr. 22).

(…)

Das Gericht (gemeint ist: das Sondergericht – Anm. H. K.) hat die Frage der Volksschädlingseigenschaft nicht übersehen. Es hat sie geprüft und bejaht. Stichhaltiger Anhalt für die Annahme, dass es den damals gültigen Begriff der Volksschädlingseigenschaft verkannt oder rechtsfehlerhaft auf den festgestellten Sachverhalt angewendet hat, ist nicht ersichtlich. Insbesondere sind Umstände, die dem Sondergericht bei sachgemäßer Prüfung zwangsläufig die Überzeugung hätten vermitteln müssen, dass die Angeklagte bei Zugrundelegung der vom Reichsgericht gesetzten Maßstäbe nicht von der Wesensart eines Volksschädlings sei, nicht gegeben.

(…)

So hart der Strafausspruch heute insbesondere im Hinblick auf das noch junge Alter der Angeklagten erscheint, hatte das Gericht aus damaliger Schau, von der die Strafkammer auszugehen hatte, bei Vorliegen des Plündereitatbestandes keine andere Wahl, als auf die in § 1 Volksschädlingsverordnung ausschließlich vorgesehene Strafe zu erkennen.

Anmerkung des Herausgebers (Helmut Kramer):

Unmittelbar nach der Hauptverhandlung hatte das Gericht die Akten der Staatsanwaltschaft mit der Anregung übersandt, die Gnadenlosigkeit der noch jungen Angeklagten zu überprüfen. Dazu hatte der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft vermerkt, im Grunde habe die Verurteilte in der Hauptverhandlung den Eindruck eines harmlosen, ordentlichen jungen Mädchens gemacht.

Der Beschluss des Landgerichts Braunschweig vom 07.10.1965 geht über diesen Vermerk mit Stillschweigen hinweg.

Der Berichterstatter des Beschlusses vom 07.10.1965 (Jahrgang 1931) wurde in steiler Karriere zum Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof ernannt.