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Zum Tod von Hans-Jochen Vogel
Unter Politikern eine Ausnahmeerscheinung: uneigennützig und hilfsbereit.
Am 26. Juli 2020 starb im Alter von 94 Jahren Hans-Jochen Vogel. Soweit in einigen Zeitungs- und Rundfunknachrufen klischeehaft und von der personifizierten „Klarsichtmappe“ und Pedanterie gesprochen wurde, kann ich das nicht bestätigen.
Als es im Jahr 1999 darum ging, das von mir gegründete Forum Justizgeschichte anzuschieben, hatte ich Hans-Jochen Vogel nach seiner Bereitschaft gefragt, die erste Tagung des Forums mit einem Vortrag zu eröffnen. Natürlich wollte Hans-Jochen Vogel sich ein genaues Bild machen. Also trafen wir uns zu einem längeren Gespräch in Berlin. Mitgebracht hatte er einen Freund (Manfred Rexin), ein kritischer Geist aus dem Kreis der außerparlamentarischen Opposition. Vogel war sofort bereit.
Einige Wochen später hielt er den Vortrag. Wegen der schlechten Verkehrsverbindungen von Berlin nach Wustrau war er schon am Vorabend angereist und übernachtete in Wustrau. Als ich am nächsten Morgen um 8:30 Uhr zum Frühstück kam, war Vogel schon längst da. Für mich peinlich. Ich hätte wissen müssen, dass Vogel ein Frühaufsteher und überpünktlich ist.
Jeder Buchautor, der noch keinen bekannten Namen hat, braucht eine Referenz. So auch das Buch von mir und dem Historiker Wolfram Wette „Recht ist, was den Waffen nützt“. –Hans-Jochen Vogel war bereit das Vorwort zu schreiben. Üblicherweise wird dem Fürsprecher ein Entwurf geliefert. Vogel hat nach vollständiger Lektüre des umfangreichen Buchmanuskripts selbst geschrieben, ohne irgendwelche Vorgaben.
Wenn es überhaupt jemanden gibt, dem es nur um die Sache geht, und der völlig uneigennützig handelt, dann war es Hans-Jochen Vogel. Vogel hielt die Verbindung mit mir noch viele Jahre. Mit seinem Interesse an der Aufarbeitung der NS-Justiz bat er mich um nähere Angaben dazu, wie viele Richter und Staatsanwälte am ehemaligen Volksgerichtshof auch nach 1945 im Dienst geblieben waren. Ich konnte ihm ungefähr 25 Namen nennen, verbunden mit Hinweisen, wie sie durch die Maschen der Entnazifizierung geschlüpft waren.
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SWR2 - Dienstag, 1. Oktober 2019, 15.05 Uhr
Helmut Kramer (89) im Gespräch mit Jura-Studierende in der Universität Göttingen.
Der alte Richter –
Junge Juristen sprechen mit Helmut Kramer über Justiz und Politik
Von Hans Rubinich
Helmut Kramer ist 18 Jahre alt, als die Bundesrepublik gegründet wird. Als Jurist und Richter am Oberlandesgericht Braunschweig müht er sich um Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Er ist Gründungsmitglied des „Forum Justizgeschichte e.V.“ und trifft sich noch heute, im Alter von 88 Jahren, mit Studierenden des Rechts. Ihn interessiert, wie sie ihr Studium erleben und inwieweit die NS-Justiz Thema ist, ob kritisches Denken gefordert oder gefördert wird. Diskutiert wird über das Verhältnis von Justiz und Politik. Hans Rubinich ist Zeuge dieser Begegnung.
(SWR 2019 / Red.: Rudolf Linßen)
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Zu der Ankündigunng ein Hinweis von Helmut Kramer:
In der Ankündigung heißt es "... trifft sich heute, im Alter von 88 Jahren, mit Studierenden des Rechts." Tatsächlich treffe ich mich gelegentlich noch heute, im Alter von 89 Jahren mit Studierenden.
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Ein noch heute aktuelles Kapitel aus der Presse- und Mediengeschichte. Schleichwerbung ist verboten, erst recht redaktionelle Werbung
In Zeiten der Wohnungs-und Grundstückskrise (die Exzesse kann man in Berlin beobachten) bedienen nicht selten die Massenmedien die Interessen der kapitalistischen Wirtschaft. Als besonders krasses Beispiel berichtet mein nachfolgender Aufsatz darüber, dass der Berliner Tagesspiegel im Jahr 2007 in einer Sonderausgabe für zahlungskräftige Kapitalanleger geworben hat.
Vorbemerkung
Im Unterschied zu anderen historisch bedeutsamen Bauten aus den Jahren1933 bis 1945 gibt es heute nur wenige erhalten gebliebene, für die Geschichte der nationalsozialistischen Justiz relevante historische Gebäude. Umso wichtiger wäre es, sie zu bewahren und zu pflegen. In Berlin hat man das Gegenteil getan: Von den beiden obersten deutschen Gerichten der NS-Zeit in Berlin ist nach der Totalzerstörung des Gebäudes des Volksgerichtshofs in der Bellevuestraße Anfang 1945 nur das großartige Gebäude des Reichsmilitärgerichts, später Reichskriegsgericht, erhalten geblieben. Es war sogar fast völlig unversehrt. Also ein Ort von gleichermaßen geschichtlicher wir architekturgeschichtlicher Bedeutung. Es ist das einzige Gerichtsgebäude in der Bundesrepublik, das an das mörderische Wirken der Hitler’schen Wehrmachtsjustiz erinnert, unter anderen mit den 1400 Todes- und weiteren Terrorurteilen des Reichskriegsgerichts.
Dieser Bau ist jetzt bis zur Unkenntlichkeit verschandelt worden. Das Gebäude wird nie mehr öffentlich zugänglich ein. Schlimmer noch: Durch eine schwerwiegende, monströse Umgestaltung der gesamten Innenarchitektur ist das Gebäudeinnere nur noch in wenigen Teilen zu erkennen. Nicht einmal die äußere Hülle, die Fassade, ist völlig unverändert geblieben. Geschichtsvergessenheit der Berliner Behörden im Zusammenwirken mit kommerzieller Profitsucht und stillschweigend zusehenden Massenmedien einschließlich aller Berliner Tageszeitungen.
Leider haben sogar die etablierten Rechtshistoriker an den Universitäten geschwiegen. Sie wussten wohl nichts davon, dass es in der Gestalt von Gebäuden auch zu Stein gewordene Zeitzeugen gibt.
Der Tagesspiegel hat für den Verkauf des historischen Gebäudes geworben
Heute, 70 Jahre nach der Verabschiedung des Grundgesetzes, tut es gut, an die zentrale Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 und 2 GG) zu erinnern und sich zugleich die Wichtigkeit der Pressefreiheit für eine demokratische Gesellschaft in Erinnerung zu rufen. Aus guten Gründen haben die Verfassungsgeber nicht ausdrücklich vor einem Missbrauch der Pressefreiheit gewarnt. Umso notwendiger ist es, dass die Massenmedien ihre mit dem privilegierten Zugang zur Öffentlichkeit verbundenen Einflussmöglichkeiten verantwortungsvoll nutzen[1]. Unverzichtbar ist hier die Trennung zwischen Fakten und Meinung. Anerkannt und selbstverständlich ist auch das Verbot, unter dem Deckmantel redaktioneller Berichterstattung für fremde Interessen, z. B. für Wirtschaftsinteressen zu werben. Genau dies ist dem Berliner tagesspiegel im Jahr 2007 passiert.
Vorweg: Mitte der 1980er Jahre sollte das große für die ganze Bundesrepublik einzige und einzigartige Hinrichtungsgebäude in Wolfenbüttel abgerissen werden. In einer, auf den Kraftaufwand bezogen, Einmann-Bürgerinitiative habe ich (H. K.) unter Einschaltung des europäischen Auslands es erreicht, dass der niedersächsische Justizminister die Abrisspläne aufgeben musste und in einer Flucht nach vorn sogar die Gedenkstätte in der Justizvollzugsanstalt Wolfenbüttel gegründet hat.[2]
Anfang 2007 hörte ich von Überlegungen, das Gebäude des ehemaligen Reichsmilitärgerichts, in dem in den Jahren 1933 – 1945 das Reichskriegsgericht residiert hatte, an Interessenten zu verkaufen. Der Ort, an dem 1.400 Todesurteile gegen Widerstandskämpfer, Deserteure und Kriegsdienstverweigerer gesprochen worden sind, zu verkaufen, erschien mir als viel zu bedeutsam, um schweigen zu können. Deshalb meinte ich, mit einer Gegenwehr könnte es diesmal relativ einfach sein: Inzwischen (16 Jahre später) waren nach dem Verschwinden der früheren Verdrängungsmentalität eine breitere Öffentlichkeit und auch die Politiker bereit, sich mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Dass im 21. Jahrhundert wirtschaftliche Privatinteressen in die Erinnerungskultur entscheidend hineinspielen könnten, war mir völlig neu.
Im Einzelnen: Mit dem Verkauf an eine Investorengruppe bestand die Gefahr erheblicher Eingriffe in das nicht nur baugeschichtlich, sondern auch justizgeschichtlich bedeutsame Gebäude des ehemaligen Reichskriegsgerichts[3] in der Witzlebenstraße 4 in Berlin. Hier wurden bis 1945 viele Todesurteile gesprochen, darunter die Urteile gegen die Widerstandskämpfer der sog. „Roten Kapelle“. Es gab von Bürgern auch wohlbegründete massive Kritik, mit mehreren Demonstrationen vor dem Gebäude. Auch der Verfasser (H.K.) war dabei. Aber die Berliner Zeitungen rührten sich nicht. Nur der Freitag (Freitag, Die Ost-West-Wochenzeitung vom 21. September 2007.[4]) sowie der Westdeutsche Rundfunk (WDR 3, Kritisches Tagebuch vom 07. August 2007[5]) brachten mit meinem Artikel den Skandal an die Öffentlichkeit. Was aber machte der Berliner tagesspiegel? Mit einer der Ausgabe Nr. 19612 vom 03. Juli 2007 beigefügten Sonderbeilage warb der tagesspiegel für den Verkauf der infolge des Umbaus entstehenden „luxuriösen Wohnungen“. Natürlich müsse „eine effiziente Vermietung“ sichergestellt werden (...) Viele Geschäftsführer, Vorstände und Firmeninhaber hätten sich schon mehr als 50 % der „Schlosslofts in dem jetzt sogenannten ‚Atrium‘ gesichert“, also sei Eile angebracht. Außer Leuten, die dort nicht selbst wohnen wollten, habe man die Wohnungen gar nicht verkauft, sondern Kapitalanlegern überlassen, „die das Haus als Renditeobjekt halten.“ Die teils in Farbe gedruckte Fotos der Luxuswohnungen sollten den Anlegern den Mund wässrig machen.
Löblich sei auch, dass die Luxusbewohner abends in dem großen, nun zu einer „Lounge“ modernisierten Verhandlungssaal (wo früher den Angeklagten die Todesurteile verkündet wurden) zusammentreffen würden. Wozu: Natürlich zum Sekttrinken und (ich kann nicht für die neue Wortprägung) „Fußballgucken“. In der Buchveröffentlichung werde ich an dieser Stelle das Gedicht „Früher Mittag“ von Ingeborg Bachmann einfügen: „Sieben Jahre später, in einem Totenhaus trinken die Henker von gestern ihre goldenen Becher aus“.
Den „Blick nach vorn“ richten
Sogar den Geschäftsführer der “allod Immobilien- und Vermögensverwaltungsgesellschaft“ Thomas Groth ließ der tagesspiegel in einer Rubrik „Nachgefragt“ zu Wort kommen. Während in dem Artikel kein einziges Wort über den nun zu einer „Lounge“ umgestalteten Verhandlungssaal, wo die Todesurteile gesprochen wurden, vorkommt, beschränkte Herr Groth sich lediglich darauf, dass die „Geschichte des Gebäudes (...) zum Glück nur einen Bruchteil der ‚Lebenszeit‘ des Hauses (ausmacht). Dass sich so viele Käufer für eine Wohnung im Atrium entschieden haben, zeigt, dass sie nach vorn sehen“. Mich erinnert das daran, dass in der Frühzeit der Bundesrepublik die Frage nach dem Gewicht der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft für die deutsche Geschichte als Gegenstand der historischen Forschung damit abgetan wurde, dass es sich doch nur um „zwölf gottlob überwundene Jahre der deutschen Geschichte“ handele (Begründung der im Jahr 1980 von der Freien Universität Berlin verweigerten Habilitierung der hoch anerkannten Juristin und Historikerin Diemut Majer). Solche Finanzmakler wie Herr Groth hatten in ihrer Schulzeit wohl nie etwas von dem ungeheuren Zivilisationsbruch in der NS-Zeit gehört.
Großer Schaden für die Erinnerungskultur
Unter dem Missbrauch der Pressefreiheit hat nicht nur das Vertrauen der Bürger in eine objektive Presseberichterstattung gelitten. Der noch größere Schaden besteht darin, dass das historisch so bedeutsame RKG-Gebäude reibungslos verunziert, ja geschändet und der historischen Erinnerung völlig entzogen wurde. Hätte das Berliner Massenblatt tagesspiegel die journalistische Pflicht zur rückhaltlosen Aufklärung erfüllt und nicht kräftig die Werbetrommel für Finanzhaie gerührt, hätte jener Deal mit Kapitalanlegern (Verunstaltung des historischen Bauwerks) nicht so einfach über die Bühne gehen und der erinnerungsbeladene Bau nicht so perfide verhökert werden können. Was damals in Berlin geschehen ist, kann man getrost zu den Exzessen des von allen Bindungen des Art. 14 GG („Eigentum verpflichtet“) entfesselten Wohnungs- und Kapitalmarkts zählen. Unklar bleibt, warum damals die anderen Berliner Institutionen (u.a. die Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Herausgeber des Buches von Norbert Haase „Das Reichskriegsgericht“) sich überhaupt nicht gemeldet hatten[6].
Ohne Übertreibung kann man sagen: Bei genügender Aufmerksamkeit der historischen Institutionen in Berlin und bei genügendem Problembewusstsein der Berliner Presse wäre das historische Gebäude nicht verscherbelt und der historischen Erinnerung nicht endgültig entzogen worden.
Zwar könnte man einen journalistischen Regelverstoß[7] aus dem Jahr 2007 heute für Schnee vom vergangenen Jahr halten. Wegen der auch heute bestehenden Aktualität braucht man aber nur an die Wohnungskrise in Berlin und anderen Ballungsräumen zu denken und an die finanziell schlechter als die gut betuchten Käufer von Luxuswohnungen gestellten Normalbürger. Damals wie heute hatten die großen Wohnungskonzerne mit ihren Finanzinvestoren die Hände im Spiel. Im Jahr 2018 hatte die Deutsche Wohnen einen Nettogewinn von 1,85 Milliarden Euro. Dies bei einem sich gemeinnützig gerierenden Unternehmen!
Viel stärker noch als in den letzten 100 Jahren geht es auch sonst um die Bereicherung von Grundeigentümern auf Kosten der sozial Schwächeren und ihrer sozialen Integration, wenn sie wegen der ständigen Mietpreiserhöhungen und der explodierenden Bodenpreise zwangsläufig aus ihrer gewohnten Umgebung vertrieben werden. Inzwischen muss ein großer Teil der deutschen Haushalte 40 % ihres Einkommens allein fürs Wohnen ausgeben. Vor ungefähr 25 Jahren war es noch ein Drittel. Allein in den sieben Jahren zwischen 2011 und 2018 sollen durch die Preissteigerungen die deutschen Hauseigentümer um bis zu 30 Millionen Euro reicher geworden sein.
Zu fragen wäre noch, wer die (realistisch berechneten!) Druckkosten für jene Beilage bezahlt hat. Und was den Tagesspiegel auch sonst zu dieser Abweichung von einem verantwortungsvollen Journalismus verlockt hat. Im Zeitalter eines nun völlig entfesselten Kapitalismus ist es kein Wunder, dass der Grundstücks- und Kapitalmarkt längst zum Tummelplatz zwielichtiger Akteure geworden ist[8].
So unverzichtbar eine Aufklärung der Öffentlichkeit über jenes fatale Zusammenspiel von Kapitalwirtschaft, Politik und Presse schon damals war, so aktuell ist der Skandal noch heute, im Zeichen einer sich verschärfenden Wohnungskrise.
[1] Eigentum verpflichtet (Art. 14 Grundgesetz) auch die Eigentümer von Medienunternehmen!
[2] Geholfen hat auch die ihrer Aufgabe bewusste Frankfurter Rundschau mit einem Artikel, während die Lokalzeitung schwieg.
[3] Einzelheiten über die in dem Gebäude des RKG gefällten Todesurteile und weitere NS-Verbrechen erfährt man in Norbert Haase, Das Reichskriegsgericht und der Widerstand gegen die nationalsozialistische Herrschaft, hg. von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, 1993.
Erst Anfang 2006 hatte das Berliner Landesdenkmalamt an seiner hohen Einschätzung des Gebäudes festgehalten: „Ein in dieser Ausprägung wohl einmaliges Gerichtsgebäude. Bedeutendes und konzeptuell wohl einmaliges Gerichtsgebäude der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, das zudem nur sehr wenige Änderungen erfahren hat.“
Zu den 47 vollstreckten Todesurteilen gegen die Mitglieder der sog. Roten Kapelle, vgl. Helmut Kramer, „Landesverrat hat immer und zu allen Zeiten als das schimpflichste Verbrechen gegolten“. Das Verfahren der Staatsanwaltschaft Lüneburg von 1951 gegen den Generalrichter a.D. Manfred Roeder, in: Wolfram Wette und Detlef Vogel (Hg.), Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und „Kriegsverrat“, S. 69 – 84.
Kramer_2007_“Landesverrat als schlimmste Verbrechen“-Fall Roeder.pdf
So wie die unerschrockenen Widerstandsleute der sog. Roten Kapelle im Jahr 1951, also in der Zeit der Bundesrepublik(!), von der Staatsanwaltschaft Lüneburg zu Angeklagten gemacht und verleumdet wurden, war wohl nur im Land Niedersachsen mit den hier traditionell besonderen Nachwirkungen der nationalsozialistischen Ideologie möglich.
[4] Helmut Kramer, Luxuswohnen am Lietzensee. Verdienen statt Erinnern. Die Entsorgung des ehemaligen Reichskriegsgerichtes in Berlin (Kramer_2007_Luxus-Wohnen am Lietzensee-Freitag.pdf)
[5] Titel: Eigentum verpflichtet
[6] Heute lässt sich wohl ohne Übertreibung sagen: Angesichts der großen Bedeutung eines solchen historischen Gebäudes auch für die Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechtsstaates wäre es bei tatsachengerechter Aufklärung der Berliner Zeitungsleser nicht zu dem dubiosen Geschäft mit dem Immobilienhai gekommen.
[7]Ich habe der Redaktion des tagesspiegel Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Antwort war recht schmallippig: Redaktion und Werbung werden beim Tagesspiegel – für den Leser eindeutig erkennbar – getrennt. Sofern bezahlte Veröffentlichungen nicht aufgrund ihrer Gestaltung bereits eindeutig als Werbung erkennbar sind, werden sie klar gekennzeichnet, in Print und Online durch das Wort „Anzeige“.
Zu den Mitgliedern des Deutschen Presserats gehört auch ein Redakteur des tagesspiegel: Dr. Jost Müller-Neuhof.
[8] Eingeweihte wissen, dass der Wohnungsmarkt seit Jahren auch als Geldwaschanlage dient.
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Fritz Bauer war mehr daran interessiert, die Rolle aufzuzeigen, die das Lager Auschwitz im deutschen Vernichtungsprogramm spielte, als an der Strafverfolgung von beteiligten Einzelpersonen.
Fünfzehn Jahre des unverhofften Wirtschaftswunders gingen ins Land, bis eine bundesdeutsche Staatsanwaltschaft erstmals systematische und umfassende Ermittlungen gegen SS-Personal des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau einleitete und im Rahmen eines Sammelverfahrens den Versuch unternahm, den Verbrechenskomplex Auschwitz aufzuklären. Auf Antrag des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer hin fanden ab April 1963 in Frankfurt die sogenannten Auschwitzprozesse statt, bei denen Befehlsgeber und Handlanger der NS-Vernichtungspolitik im KZ Auschwitz-Birkenau verurteilt wurden. Fritz Bauer, der sich als Humanist und Demokrat verstand, wusste nur zu gut, dass viele der einstigen Täter nach dem Krieg wichtige Positionen in Staat und Gesellschaft eingenommen hatten. Sein entschiedenes Eintreten für die juristische Aufarbeitung der Nazizeit zwang die Bundesrepublik, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Bauer begann die Ermittlungen im Frühjahr 1959 auf der Basis von authentischen Dokumenten, die gezielte Tötungen von Auschwitz-Häftlingen durch SS-Leute belegten. Im April 1963 konnte gegen 23 SS-Angehörige und einen Funktionshäftling Anklage erhoben werden. Wenige Tage vor Weihnachten 1963 begann die Hauptverhandlung schließlich gegen 22 Angeklagte. Der Prozess umfasste insgesamt 183 Verhandlungstage bis August 1965, in deren Verlauf 360 Zeugen vernommen wurden. Mit den Verfahren gegen jene, die an der Planung und Ausführung der "Endlösung" beteiligt waren, wollte Bauer zum einen erreichen, dass Schuldige verurteilt werden, zum anderen aber den Deutschen auch die Verbrechen vor Augen führen, die im Dritten Reich in ihrem Namen begangen worden waren. Der jungen Generation gab Bauer eine Botschaft mit auf den Weg, die zu einer radikal neuen Haltung führen sollte: Dass es in einem Unrechtsstaat eine moralische Pflicht ist, Widerstand zu leisten.
Hinweis: Hier kann der Film gesehen werden. In dem Film wird Dr. Helmut Kramer interviewt.
Mit seiner Entscheidung vom 17. April 2018 zum Fall Egersberger und dem Verbot der Diskriminierung von Arbeitnehmern wegen der Religion oder Weltanschauung hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) nicht nur allgemein eine vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) geschaffene Altlast beseitigt, sondern auch eine Hypothek, die der Bundesverfassungsrichter und ehemalige Staatsanwalt an einem NS-Sondergericht Willi Geiger hinterlassen hat.
Als Bundesverfassungsrichter fungierte Willi Geiger über viele Jahre hinweg in Karlsruhe eher als Partei denn als Richter. Mit der von ihm erzielten Linie des BVerfG hat er die Grundlage der jetzt vom EuGH beseitigten einseitig kirchenfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes gelegt. In dem von ihm durchgesetzten Beschluss des BVerfG v. 11.10.1977 (BVerfGE 46/77) hat er die kirchlichen Betriebe – zum Beispiel Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, auch wenn sie mit der Seelsorge praktisch nichts zu tun hatten – bei nahezu unbegrenzter Regelungsgewalt der Kirchen weitgehend zu verfassungsrechtlich rechtsfreien Räumen erklärt, mit der Folge, dass den Bediensteten die Weltanschauungsfreiheit und die wichtigsten Mitbestimmungsrechte aberkannt wurden. Von den Erfordernissen des heutigen Krankenhausbetriebs als hochspezialisierte Organisations- und Funktionseinheit ist in der soziologisch durch nichts untermauerten Entscheidung vom 11.10.1977 ebenso wenig die Rede wie von der Tatsache, dass sowohl ein Großteil des Personals der kirchlichen Krankenhäuser als auch der Patienten mit der Glaubensrichtung des Krankenhausträgers nichts zu tun haben und dass die kirchlichen Krankenhäuser, Kindergärten usw. zum weitaus überwiegenden Teil vom Staat subventioniert werden.
Dagegen wird unterstellt, dass in Krankenhäusern mit kirchlicher Trägerschaft die „Sorge um das geistig-geistliche Wohl der Kranken“ und „die spezifisch religiöse karitative Tätigkeit der Behandlung der Kranken durchdringt“ (BVerfGE 46, 72, 88, 95). Als Berichterstatter hatte Geiger erreicht, dass das Verfahren noch kurz vor seiner Pensionierung Ende Oktober 1977 entschieden wurde und damit der auch weiterhin kirchenfreundlichen und die Arbeitnehmer diskriminierenden Kirchenrechtsprechung des BVerfG der Weg geebnet wurde (BVerfG 53, 366, BVerfG NJW 1953, S. 2570).
Unter anderem mit der Rolle Willi Geigers am BVerfG beschäftigt sich der kürzlich veröffentlichte Band 7 der von Dr. Wolfgang Proske herausgegebenen Reihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ (www.kugelbergverlag.de/) sowie der Vortrag, den Dr. Helmut Kramer am 08.12.2017 in Karlsruhe gehalten hat.
Vortrag Helmut Kramer Karsruhe 08.12.2017 herunterladen
17. April 2018
Dr. Helmut Kramer, Wolfenbüttel
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Die Beobachtungen Helmut Kramers in türkischen Kriegsgerichtssälen im Jahr 1983 im Vergleich mit den heutigen Geschehnissen.
Braunschweig, August 2016
Als wir – sechs Rechtsanwälte und ich als Richter – im Jahre 1983 von einer Prozessbeobachtungsreise nach Deutschland zurückkehrten und wir dann gemeinsam mit anderen menschenrechtlich engagierten Juristen darüber ein Buch („Politische Prozesse in der Türkei") veröffentlichten, konnte ich nicht ahnen, dass sich in der Türkei nun, 33 Jahre danach ähnliche Dinge wiederholen würden, wie sie uns zu jener Reise in die Türkei veranlasst hatten.
Zusammengefunden hatten wir uns angesichts der sich häufenden Berichte über die Folgen des türkischen Militärputsches am 12. September 1980, mit der Aufhebung fast aller Grundrechte und politischen Freiheiten und mit rigoroser Verfolgung aller Kritiker.
In der Zeit vom 27. März bis 05. April 1983 hatten wir bedrückende Beobachtungen der Prozesse gegen die Kurden und andere Oppositionelle gemacht. Bei der anschließenden Analyse half uns nicht nur die Kenntnis der völker- und menschenrechtlichen Normen, sondern auch der politischen Praxis, mit der bei uns, in Deutschland, in den Jahren 1933 bis 1945 die Menschenrechte mit Füßen getreten wurden. Bei unserer Reise durch die Türkei konnten wir uns als Bürger des Nato-Partners Bundesrepublik selbst zwar sicher fühlen. Aber gleich nach der Ankunft in Istanbul erhielten wir eine erste Anschauung. In den Hotels, in denen wir wohnten, wurden wir unauffällig-auffällig von immer in dem gleichen Zivil gekleideten Geheimdienstleuten beobachtet, auch in Diyarbakir und anderen Städten, später auch in Ankara.
Natürlich konnten wir den politischen Gefangenen mit unserer Anwesenheit in den Prozessen nicht helfen. Dennoch muss immer wieder an Ort und Stelle an die unverbrüchlichen Regeln eines jedes Rechtsstaats erinnert werden. Die türkischen Politiker und die nach den jetzigen „Säuberungen“ im Amt belassenen Richter müssen wissen, dass sie unter kritischer Beobachtung deutscher Juristen stehen. Ob sich allerdings heute noch einmal deutsche Richter und andere kritische Juristen zusammenfinden würden, um die Augen an Ort und Stelle offen zu halten?
Parallelen zur NS-Justiz
In unserem Buch über unsere Beobachtungen in der Türkei habe ich aus gutem Grund das damalige türkische Justizsystem auch mit den Strukturen der NS-Justiz verglichen. Die NS-Justiz war nicht minder brutal als die türkische Justiz der 1980er Jahre. Es gab aber einen Unterschied: Damals waren bei der Gleichschaltung der Justiz das System der Türkei und die Strukturen in der Justiz in einem Punkt nicht deckungsgleich: Hitler und seine Gefolgsleute versuchten, den äußeren Schein der richterlichen Unabhängigkeit aufrecht zu erhalten: Im „Dritten Reich“ sollten die Juristen nicht gleich als Marionetten der Machthaber dastehen. Bei der damaligen Richtermentalität reichten unauffällige Druckmittel, um die Richter auf Linie zu bringen. Nach dem Militärputsch von 1980 und wohl auch jetzt wieder ist die türkische Justiz völlig der Exekutive unterstellt worden.
Die Zeithistoriker haben die Geschehnisse in der Türkei von 1980 ziemlich gleichgültig gelassen. Ich befürchte, dass es auch diesmal, 2016, nicht viel anders sein wird. Dabei ist kein Zweifel, dass die Kritik an den Menschenrechtsverletzungen in der Türkei nach dem Militärputsch von 1980 vor allem von der 1968er-Bewegung ausgegangen ist. Darunter waren auch die progressiven Juristen. Es war das Erschrecken über die Beteiligung unserer Vorgänger – fast alle ganz normale Richter und andere Juristen – an den Verbrechen des Dritten Reiches, die die Generation der „68er“ zu ihrem gesellschaftspolitischem Engagement gebracht hatte. Deshalb gehörten alle Mitglieder unserer Türkei-Reise dieser Generation an, der auch ich mich gesinnungsmäßig zugehörig fühle.
Meine Mitverantwortung
Nicht erst am Ende meiner aktiven Richtertätigkeit habe ich mich oft nach möglichen Irrtümern und zu den Folgen meiner Entscheidungen gefragt. Zu den vielleicht drei Fällen, die mir noch immer nachgehen, gehört die Beteiligung an der Auslieferung eines Türken.
Das war im Jahr 1991. Damals hatte der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig über einen Flüchtling aus der Türkei zu entscheiden. Es ging um die Auslieferung eines türkischen Flüchtlings. Die Bundesregierung hatte über die Auslieferung längst entschieden und hatte die Auslieferungshaft angeordnet. Als sogenannter Berichterstatter des Senats war ich schwerpunktmäßig mit der Beratung über die Fortdauer der Auslieferungshaft befasst. Beim ersten und zweiten Lesen der Akte schien mir klar zu sein, eine Auslieferung an die Türkei komme auf keinen Fall in Frage. Zu meinem Erschrecken musste ich aber trotz tagelangen Nachdenkens schließlich feststellen, dass es kein Hindernis gab. Nach Artikel 12 des Europäischen Auslieferungsübereinkommen (EAU) vom 13. Dezember 1957 muss zwingend ausgeliefert werden, wenn gegen den Betroffenen ein von einem türkischen Gericht erlassener auf Beweismaterial gestützter Haftbefehl vorliegt, wonach er dringend einer Straftat verdächtig sei. Zweifel an der Echtheit der von der Türkei vorgelegten Beweismittel sind den deutschen Gerichten nicht erlaubt (!). Dies selbst dann, wenn einige Umstände dafür sprechen, dass die türkischen Behörden die Beschuldigung vielleicht zum Vorwand nehmen, um einen politisch Missliebigen in ihre Gewalt zu bringen, gar zu foltern. Jetzt wird natürlich jeder an das deutsche Asylrecht denken. Wer aber weiß, dass das Völkerrecht und damit auch das Europäische Auslieferungsabkommen als sogenannte lex spezialis gegenüber dem Asylrecht vorrangig ist?
Folter kein Auslieferungshindernis?
Hinter dieser gesetzlichen Regelung – und das Auslieferungsabkommen ist ein verbindliches Gesetz – steht das Prinzip der Gegenseitigkeit, wonach die beteiligten Staaten verpflichtet sind, umgekehrt auch einen aus Deutschland geflüchteten Verbrecher anstandslos auszuliefern. Internationale Verträge haben für die Gerichte Gesetzeskraft. Aber nun musste ausgerechnet ich, der ich den NS-Schreibtischmördern die Berufung auf ihre Gesetzesbindung nie abnehmen wollte, mich auf das „Gesetz ist Gesetz“ berufen. Danach ging es für uns allein um die Überprüfung der Fortdauer des Fluchtverdachts. Und daran, dass der Festgenommene sich nicht freiwillig in die Hände seiner Verfolger begeben würde, bestand kein Zweifel.
Nach den von der türkischen Staatsanwaltschaft vorgelegten Dokumenten und Zeugenaussagen konnte einerseits manches dafür sprechen, dass jener Bürgermeister einer türkischen Stadt vor seiner Flucht größere Geldmittel veruntreut hatte. Andererseits war nach dem Vorbringen des Flüchtlings nicht auszuschließen, dass es mehr um eine echte politische Verfolgung ging. Meine beiden Kollegen im Strafsenat sahen von vornherein kein Problem. Trotzdem habe ich mich mehrmals vertraulich mit dem Rechtsvertreter des Türken in Hannover in Verbindung gesetzt. Auch er konnte mir aber keinen Ausweg zeigen. Und so habe ich mich bei der Senatsberatung schweren Herzens überstimmen lassen. Trotzdem sehe ich mich in einer Mitverantwortung für das unbekannte Schicksal jenes damals ausgelieferten türkischen Bürgermeisters.
Lieber Freitod als in den Händen von Folterknechten
Was politisch Verfolgte von der jetzt absolut in die Diktatur eingebundenen türkischen Justiz zu erwarten haben, hatte ich im Frühjahr 1983 als Beobachter der politischen Prozesse in Ankara, Diyarbakir, auch in Gesprächen mit den türkischen Militärstaatsanwälten (alles Betonköpfe) selbst erlebt. Auch war mir das Schicksal von Cemal Altun bekannt. Cemal Altun hatte sich kurz nach dem türkischen Militärputsch vom 12. September 1980 in die Bundesrepublik geflüchtet und hatte Asyl beantragt. Zum Verhängnis und die Ursache für seine Verfolgung in der Türkei geworden war ihm die Mitgründung des progressiven Jugendvereins der Gymnasiasten in Ankara, seine enge politische Zusammenarbeit mit seinem prominenten älteren Bruder, Ansprachen auf Versammlungen, Verteilung von kritischen Flugblättern und das Kleben von Plakaten. Der Bruder war nach Frankreich geflüchtet, das ihm Asyl gewährt und eine Auslieferung verweigert hatte. Obgleich alles für eine gezielte politische Verfolgung dieses engagierten Demokraten und Gewerkschafters sprach und sich alle menschenrechtlichen Vereinigungen der Bundesrepublik, viele deutsche Rechtsanwälte und renommierte Politiker sich für ihn einsetzten, wurde alle juristische Gegenwehr von den Gerichten, vom Bundesverfassungsgericht und vom Berliner Kammergericht mit dürren Worten abgeschmettert. Als seine Auslieferung unmittelbar bevorstand, nahm der 23-jährige sich am 30. August 1983 bei einem Gerichtstermin in Anwesenheit der drei Richter durch einen Sprung aus dem sechsten Stock des Berliner Verwaltungsgerichts das Leben (vgl. Veronika Arendt-Rojahn (Hg.), Ausgeliefert. Cemal Altun und andere, Rowohlt-Taschenbuch, Reinbek 1983, im Internet-Antiquariat heute ca. 2,00 €, ebenso wie für das Buch Politische Prozesse in der Türkei).
Heute, nach dem Militärputsch vom 15. Juli 2016 und dem Gegenputsch Erdogans mit der menschenrechtlichen Verfolgung aller zu Feinden erklärten Andersdenkenden, vergleichbar mit der blitzartigen Verhaftung deutscher Demokraten nach dem Reichstagsbrand vom 26./27. Februar 1933, treiben die Dinge mich erst recht um. Auch mit der Frage: Wie werden heute die deutsche Regierung und unsere Gerichte verfahren, wenn es um die Auslieferung von in der türkischen Diktatur verfolgten Oppositionellen geht?
Die Doppelmoral der Auslieferungspraxis
Wie die jüngste Zeitgeschichte zeigt, ist die Auslieferungspraxis vom Prinzip der politischen Opportunität geprägt. In vielen Fällen des Verdachts auf politische Verfolgung kommt es nicht zur Auslieferung. Wenn aber wirtschaftliche und militärische Interessen, insbesondere Rüstungsgeschäfte, eine störungsfreie Zusammenarbeit mit dem türkischen Nato-Partner Vorteile verspricht, wird anstandslos ausgeliefert. So war es jedenfalls im Fall Cemal Altun im Jahr 1980. Damals hatte die Bundesrepublik im Rahmen von „militärischer Entwicklungshilfe“ (darunter Lieferung von U-Booten) die Türkei mit hunderten von Millionen DM gefördert.
Bei der jetzt allgemein bekannten Menschenrechtslage in der Türkei wird natürlich niemand mehr an eine Auslieferung von Menschen in die Türkei denken. Deshalb ist der von der Türkei angekündigte Antrag auf die Auslieferung angeblich nach Deutschland geflüchteter Richter nicht nur gegenstandslos, es ist auch die dreiste Provokation eines machtbesessenen Diktators.
Zum Buchbeitrag "Politische Prozesse in der Türkei"
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NEUERSCHEINUNG
Mit einem Interview mit Helmut Kramer
Zur juristischen ‚Verwaltung‘ der NS-Justiz – Ein Beitrag mit ungeahnten Folgen
Redaktion Kritische Justiz
STREITBARE JURISTiNNEN
Eine andere Tradition
Band 2
Herausgegeben von der Redaktion Kritische Justiz
2016, 678 S., Broschiert,
ISBN 978-3-8487-0003-5
38,- €*
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„Streitbare JuristInnen (Band 2)“ ist die Fortsetzung des Bandes „Streitbare Juristen. Eine andere Tradition“ aus dem Jahre 1988 und umfasst Porträts von bereits verstorbenen JuristInnen und Interviews mit ZeitzeugInnen. Thematisch liegt der Schwerpunkt auf Personen, die nach 1945 aktiv an gesellschaftspolitischen Debatten teilgenommen haben, insbesondere an Kontroversen seit „1968“, die zu Kristallisationspunkten der Rechtspolitik wurden und die für ein demokratisches und inklusives Rechts- bzw. Verfassungsverständnis eingetreten sind. Dabei kommt eine breite Vielfalt an Stimmen der Rechtskritik zu Wort, auch RepräsentantInnen kritischer Strömungen, die weniger bekannt oder fast vergessen sind. Die Auswahl der Porträtierten und der InterviewpartnerInnen erweitert den Querschnitt an streitbaren JuristInnen, die schon im ersten Band vorgestellt wurden, und damit auch die Formen, Praxen und Orte der Streitbarkeit. Ein Fokus liegt auf rechtspolitischen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen der Bundesrepublik, auf KritikerInnen der Zeitgeschichte, die aktiv in rechtspolitische Kontroversen interveniert und die sich in wissenschaftlichen, rechtlichen und politischen Institutionen rechtspolitisch engagiert haben.
Mit Beiträgen über:
Alfred Apfel · Otto Bauer · Margarete Berent · Sebastian Cobler · Franz-Josef Degenhardt · Hedwig Dohm · Eugen Ehrlich · Helga Einsele · Winfried Hassemer · Werner Holtfort · Barbara Just-Dahlmann · Franz Kafka · Leopold Kohr · Anna Mackenroth · Marie Munk · Nora Platiel · Diether Posser · Marie Raschke · Helmut Ridder · Wiltraut Rupp-v. Brünneck · Magdalene Schoch · Jürgen Seifert · Helmut Simon · Kurt Tucholsky · Edda Weßlau
Foto: Familie Rasehorn
In Theo Rasehorn habe ich einen im Geiste gleichgesinnten Freund gesehen, noch bevor ich seinen wirklichen Namen kannte. Das war Mitte 1966. Da wurde erst in einem Vorabdruck im SPIEGEL (Nr. 27/1966), dann in DIE ZEIT ein Xaver Berra erwähnt, mit einem kritischen Buch „Im Paragraphenturm“ über die damalige Justiz (Richard Schmid in DIE ZEIT vom 23.09.1966). Auch ich hatte ja in meiner Referendarzeit und in den ersten Richterjahren ähnliche Erfahrungen mit einer rückwärtsgewandten und kritikresistenten Justiz gemacht und damit, wie schwer der bloße Versuch war, in einer Zivil- und dann einer Strafkammer, über ein soziales bürgerliches Recht und über eine einigermaßen humane Strafmaßpraxis zu diskutieren. Als ich im Jahr 1965 die Rehabilitierung eines vom Sondergericht als „Volkschädling“ zum Tode verurteilten jungen Mädchens empfahl, führte das zu einem Eklat. Empört waren nicht nur die noch immer im Amt befindlichen Richter des Sondergerichts Braunschweig, sondern auch viele mit mir gleichaltrige Kollegen. Ähnlich ging es zu, als ich 1967 im Schwurgericht die Verurteilung eines ehemaligen KZ-Kommandanten vorschlug. Wie noch vor der Beratung von mir vorausgesehen, wurde ich mit 8:1 Stimmen überstimmt. Mit dieser Ablehnung bei den Kollegen waren die Fronten aber geklärt. Umso wichtiger war es, mit Theo Rasehorn jemand auf der Seite reflektierten Denkens zu wissen. Aufklärerisch hatte Theo auch den Weg durch das Dickicht von Justizstrukturen und Juristenmentalität mitgewiesen und mir den Blick dafür geöffnet, wie oft die Justiz nach dem Prinzip eines zweierlei Maß urteilt und wie wenig das Bild des aufrechten „unabhängigen“ Richters mit der Wirklichkeit zu tun hat. Auch für die, die Theo nie persönlich kennen lernen konnten, war er eine Institution. Schon mit dem Paukenschlag des „Paragraphenturm“ hat er das Signal zu einer überfälligen Justizreform gegeben, genauer gesagt: es war ein Appell an die Juristen zum selbstkritischen Nachdenken, zum Nachdenken über das eigene Tun und ihre Funktion im sozialen Rechtsstaat und über ihr unreflektiertes Funktionieren in einer veränderungsbedürftigen Gesellschaft.
Für diejenigen, die nicht wissen, wie das Pseudonym Xaver Berra zustande gekommen ist: Wie Theo es mir einmal erklärt hat, handelt es sich um ein so genanntes Akronym, gebildet aus einzelnen Buchstaben von „Rasehorn“ und „Bergenkopf“, des Namens seiner früh verstorbenen Ehefrau.
Nach dem ich Anfang 1970 Theo persönlich kennengelernt hatte, war er nicht nur mit seinem rechtspolitischen Denken, sondern auch mir persönlich ein guter Ratgeber. Im Jahre 1978 hatte der Braunschweiger OLG-Präsident Wassermann (der bis dahin publizistisch umtriebige Gründer des „Aktionskomitees Justizreform“ und Mitstreiter Theo Rasehorns) auf Geheiß des niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht gegen mich ein Disziplinarverfahren geführt. Ich hatte nämlich Kopien der menschenverachtenden Doktorarbeit des nunmehrigen niedersächsischen Justizministers Hans Puvogel von 1938 verteilt.
Das ursprünglich, im Jahre 1970, von Wassermann initiierte „Aktionskomitee Justizreform“ hatte zu seiner besten Zeit nur ungefähr maximal 20 Mitglieder. Zur Arbeitsweise dieser sehr lockeren Vereinigung sagte Theo später: „Wir waren (wenige) Häuptlinge ohne Indianer“. Das Aktionskomitee schlummerte schon nach 3 bis 4 Jahren wieder ein, nachdem die meisten seiner Mitglieder inzwischen ohne große Hürden (nur bei dem Aufstieg von Rudolf Wassermann zum Brauschweiger OLG-Präsidenten ging es geräuschvoll zu) auf Präsidentenstühle und mit ähnlichen Beförderungen aufgerückt waren. Als Theo aber Vorsitzender Richter am OLG Frankfurt wurde, sah er sich wütenden öffentlichen Angriffen reaktionärer Richter ausgesetzt, sogar des Deutschen Richterbundes. Kritikunfähige Richter konnten noch immer nicht verzeihen, dass Theo ihnen und ihrer Methode den Spiegel vorgehalten hatte und das auch später immer wieder tat.
Einzelgänger in rechtspolitischen Konflikten sind ziemlich aufgeschmissen. Theo wusste das. So stellte er sich immer wieder solidarisch hinter Richter und Richterinnen, die sich nicht an den Komment hielten. Er stellte sich nicht nur auf die Seite der 20 Richter und Richterinnen der Sitzdemonstration im Januar 1987 gegen die Atomraketenstationierung in Mutlangen, sondern auch aller Kolleginnen und Kollegen, die, weil sie die „Blockaderichter“ unterstützt hatten, Disziplinarverfahren ausgesetzt wurden. Ähnlich solidarisierte er sich mit disziplinarisch verfolgten Kritikerinnen und Kritikern der „Berufsverbote“-Verfahren (vgl. Theo Rasehorn, Politische Meinungsäußerung und richterliche Unabhängigkeit, Kritische Justiz 1986, S. 76 ff). Und selbstverständlich war er eines der ersten Mitglieder des Forum Justizgeschichte im Jahre 1998.
Auch mein Engagement in dem von mir angestoßenen Strafverfahren gegen den deutschen Botschafter Ernst Jung. Gegenstand des Verfahrens war vordergründig die öffentliche Verleumdung meiner Person wegen eines Aufsatzes (Kritische Justiz 1984, S. 25 ff), in dem ich die Beteiligung der NS-Juristenprominenz am Massenmord an den psychisch Kranken ans Tageslicht gebracht hatte. Im Kern ging es um meinen Versuch, das von dem Nachfolger Fritz Bauers ebenso heimlich wie auch sonst skandalös eingestellten Verfahrens Fritz Bauers gegen diese hohen Juristen wieder aufzurollen. Ein Lichtblick war, dass auf meine Strafanzeige die Staatsanwaltschaft Bonn tatsächlich Anklage gegen den amtierenden deutschen Botschafter wegen Beleidigung, Verleumdung und falscher Anschuldigung erhob und mir sogar die Beteiligung als Nebenkläger nahelegte. In den folgenden sechs Jahren des Verfahrens hätte ich ziemlich allein dagestanden, wenn Theo mir nicht mit mehreren Veröffentlichungen zur Seite gestanden hätte. Näheres zu dem Prozess gegen den Botschafter Ernst Jung und zu der nochmaligen Veruntreuung des Erbes von Fritz Bauer, diesmal durch die nordrheinwestfälische Justiz, findet man in meinem Interview in dem im April 2016 im Nomos Verlag erscheinenden Buch „Streitbare Juristen, Zweiter Band“.
Theo hat maßgeblich auf eine ganze Juristengeneration eingewirkt. Ohne ihn wäre es wohl nicht so rasch zur Gründung nun wirklich aktiver Richtervereinigungen wie der Richter-Fachgruppe in der Gewerkschaft ÖTV und der Neuen Richtervereinigung gekommen. Wenn „alles seine Zeit hat“, sollte das nicht für das Wirken von Theo Rasehorn gelten. Und auch wenn jahrgangsmäßig die Zeit über Theo Rasehorn hinweggeschritten ist und viele heute leider nicht einmal seinen Namen kennen, könnten gerade die angehenden Juristinnen und Juristen viel von ihm lernen. Wichtig wäre es, die immer anregenden Gedanken Theo Rasehorns in einem Sammelband mit seinen wichtigsten Aufsätzen und Auszügen aus seinen Büchern nochmal an die Öffentlichkeit zu bringen und auf einem Symposium zu diskutieren.
08.02.2016 Helmut Kramer
näheres zu Theo Rasehorn: https://de.wikipedia.org/wiki/Theo_Rasehorn
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Veranstaltung der Gedenkstätte Ahlem
Haus der Region Hannover Raum N001
Hildesheimer Str. 18, Hannover
Donnerstag 19. Februar 2015 19:00 Uhr
Eintritt frei
Im Gespräch mit: Dr. Helmut Kramer
Eine wichtige Stimme gegen das Vergessen der NS-Justiz: In einem Vortrag am 19.02. blickt der Chronist der NS-Unrechtsjustiz, Justizkritiker und Verteidiger des Rechtsstaats auf sein bewegendes Leben zurück.
© Gedenkstätte Ahlem, Region Hannover
Dr. Helmut Kramer: Chronist der NS-Unrechtsjustiz, Justizkritiker, Verteidiger des Rechtsstaats
Mit seiner beruflichen Tätigkeit hat Helmut Kramer sich nie zufrieden gegeben. Seine Mehrfach-Kompetenz – als Richter, Rechtswissenschaftler, Rechtshistoriker und als mitgestaltender und miterlebender Zeitzeuge – machte ihn zu einer wichtigen Stimme gegen das Vergessen der NS-Justiz.
Miterleben und Mitgestalten
Schon im Jahr 1965 forderte er die Aufhebung des Todesurteils gegen ein 1944 als "Volksschädling" hingerichtetes 19-jähriges Mädchen. Als er die Doktorarbeit seines Justizministers Hans Puvogel ("Ausrottung aller Minderwertigen") in Auszügen veröffentlichte, handelte er sich ein Disziplinarverfahren ein. Ohne die von ihm in den Jahren 1984 bis 1986 gestartete Bürgerinitiative gegen den geplanten Abriss des Wolfenbütteler Hinrichtungsgebäudes hätte es die dortige Gedenkstätte nie gegeben.
Die Justiz im Nationalsozialismus
Mit einer Verfassungsbeschwerde und als Sachverständiger im Bundestag erreichte er in den Jahren 2004/2006 die Aufhebung des NS-Rechtsberatungsgesetzes, 2009 auch die Rehabilitierung der "Kriegsverräter". In seinem Vortrag blickt Kramer zurück auf ein bewegtes Leben und beleuchtet dabei die Rolle der Justiz im Nationalsozialismus.
Helmut Kramer
Jahrgang 1930, ist Jurist und Rechtshistoriker, zuletzt tätig als Richter am Oberlandesgericht Braunschweig und beim niedersächsischen Justizministerium. Er ist Gründungsmitglied des "Forum Justizgeschichte e. V." und Autor zahlreicher Publikationen zur NS-Justiz und zur Justiz der Nachkriegszeit
Vortragsmanuskript zum herunterladen
18.11.14 BS: Evangelische Akademie Abt Jerusalem 19:00 Uhr
So wahr mir Gott helfe
Die Anrufung Gottes als Instanz im Rechtswesen
Akademie im Klosterforum
Dienstag, den 18. November 2014 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr
Eintritt frei, Spenden willkommen Häufiger, als uns immer gleich bewusst wird, sind bildhafte Vorstellungen und Metaphern alltägliche Mittel der zwischenmenschlichen Verständigung. Sie sind auch Mittel der politischen Rhetorik und der suggestiven Überredung. Dienen sie aber auch der juristischen Entscheidungsfindung? Nach unter Juristen verbreiteter Meinung ist das richterliche Urteil das unfehlbare Produkt einer rein rationalen Operation. Doch ist es kein Zufall, dass Juristen den Namen Gottes gern im Munde führten und dies selbst zur Legitimierung fragwürdiger Vorgänge. Als es in den Jahren nach 1945 um die Exkulpation von NS-Verbrechen ging, hatte die Berufung auf Gott und Gottes Gnade Hochkonjunktur. Um die Schreibtischmörder von Dietrich Bonhoeffer und anderen Widerstandskämpfern von Strafe verschonen zu können, sahen die Richter des Bundesgerichtshofs sich vor „eine Aufgabe gestellt, die mit den Mitteln irdischer Rechtsprechung nicht entschieden werden kann“.
Hier geht es zur Seite der Akademie
Hier können Sie das Programm der Akademie herunterladen
Einladung zu dem Vortrag
Mitorganisator des NS-Massenmordes
lebte jahrelang unbehelligt in
Wolfenbüttel: Heinrich Ebersberg
von Dr. Helmut Kramer
Dienstag, 25. März 2014, 19:00 Uhr
Rathaus - Ratssaal
Stadtmarkt 3-6
38300 Wolfenbüttel
hier können Sie die Flyer herunterladen
Film und Diskussion in Braunschweig
Die Braunschweiger Zeitung hatte ihre Leser zu der Aufführung eines neuen Films eingeladen, der die Erfahrungen Helmut Kramers bei der Auseinandersetzung mit der Justizgeschichte, aber auch mit der Gegenwart der Justiz zum Gegenstand hatte. Einen Vor- und Nachbericht finden Sie hier:
und
30. September 2013, 19.00 Uhr,
Filmtheater Universum, Braunschweig, Neue Straße 8, Der Eintritt ist frei.
„Dem Unrecht auf der Spur. Der Richter Helmut Kramer“
Im Anschluss an die Filmaufführung findet eine Podiumsdiskussion statt mit
- Helmut Kramer
- Dr. Georg D. Falk, Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Frankfurt und Mitglied des
hessischen Staatsgerichtshofs - Michael Plöse, Jurist und Verfassungsrechtler, Berlin
- Dr. Lena Foljanty, Juristin und Rechtshistorikerin, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am
Max-Planck-Institut zur Europäischen Rechtsgeschichte, Frankfurt - Norbert Wolf, Braunschweiger Generalstaatsanwalt
- Prof. Dr. Wolfram Wette, Historiker, Freiburg
- Moderation: Henning Noske, Redakteur, Braunschweiger Zeitung
Die Braunschweiger Zeitung lädt Ihre Leser zu der Aufführung eines neuen Films ein, der die Erfahrungen Helmut Kramers bei der Auseinandersetzung mit der Justizgeschichte, aber auch mit der Gegenwart der Justiz zum Gegenstand hat.
Der Filmemacherin Lucie Herrmann ist ein einfühlsames und dichtes Portrait Helmut Kramers gelungen. Gewürdigt werden nicht nur seine Verdienste um die Aufarbeitung der NS-Justiz, sondern auch sein umfassendes demokratisches bürgerschaftliches Engagement. Gleich zu Beginn des Films legt Helmut Kramer offen, was ihn antreibt: „Ich kann kein Unrecht ertragen.“ Mit seiner richterlichen Tätigkeit allein hat er sich deshalb nie zufrieden gegeben. Mit Unrechtsurteilen konfrontiert, erwirkte er in oft mehrjährigen und zermürbenden Verfahren deren Aufhebung und stellte unablässig die Frage nach der Schuld der juristischen Schreibtischtäter und der Fortsetzung derer Karrieren.
Mit Bezug zur Verantwortung auch der heutigen Juristen schlug er mit der Forderung nach einem „Lernen aus der Geschichte“ immer wieder den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart. Vor Repressionen wegen seiner aufklärerischen Initiativen fürchtete er sich nicht. Die Aufhebung eines ursprünglich gegen die Juden gerichteten NS-Gesetzes durch den Deutschen Bundestag gelang ihm erst dadurch, dass er Anzeige gegen sich selbst erstattete, dann zunächst vom Amtsgericht und Oberlandesgericht Braunschweig wegen Verstoßes gegen das „Rechtsberatungsgesetz“ von 1935 durch uneigennützige Beratung anderer Bürger in Rechtsdingen verurteilt wurde, bis das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe diese Verurteilungen aufhob und der Deutsche Bundestag unter Beratung durch Helmut Kramer jenes Gesetz beseitigte. Gemeinsam mit Freunden konnte er im Jahre 2009 im Bundestag die Rehabilitierung der sog. Kriegsverräter durchsetzen. Unbeirrt von möglichen Repressionen brachte Helmut Kramer immer wieder als eine Art Whistle-Blower Missstände in den Bürokratien ans Tageslicht. Sein Beispiel zeigt, wie der Bürger von der im Grundgesetz gewährleisteten Meinungsfreiheit Gebrauch machen und im Interesse des Gemeinwohls Handlungsspielräume nutzen kann.
Entstanden ist der Film im Auftrag des Historischen Museums Frankfurt. Das dort seit einigen Jahren entstandene und bis 2050 weitergeführte Projekt Bibliothek der Alten versammelt die Erinnerungen und Erfahrungen verdienter Frankfurter Bürger mit historisch interessanten Lebensläufen. Dort gewissermaßen „eingemeindet“ hat man Helmut Kramer nicht zuletzt wegen seiner verschiedenen lebensgeschichtlichen Bezüge zu Frankfurt und dessen Justiz. Zum einen weil das demokratische Engagement der Fraktionen der Frankfurter Nationalversammlung (Paulskirchenparlament) von 1848/49 Gegenstand seiner Doktorarbeit ist. Zum anderen weil er im Gefolge seines großen Vorbilds Fritz Bauer rückhaltlos die Verstrickung der NS-Juristenprominenz in die „Euthanasie“-Morde ans Tageslicht gebracht hat. Aufgedeckt hat er auch mit großem bundesweiten Aufsehen das nach dem Tod Fritz Bauers von dessen Nachfolger veruntreute Strafverfahren gegen jene Juristen, zugleich sich aber den Unwillen der rückwärtsbezogenen Kollegen der juristischen Schreibtischtäter zugezogen.
„Die Bibliothek der Alten” im historischen museum Frankfurt
Ein Generationen übergreifendes Projekt, 2000–2105
Anlässlich der Ausstellung „Das Gedächtnis der Kunst. Geschichte und Erinnerung in der Kunst der Gegenwart" (2000/ 2001) suchte das historische museum gemeinsam mit der Künstlerin Sigrid Sigurdsson Autorinnen und Autoren, die mit der Geschichte der Stadt Frankfurt am Main verbunden sind. Die Teilnehmer – 65 über 50 Jahre sowie 35 unter 50 Jahre – sollten einen biografischen, historischen oder wissenschaftlichen Rückblick auf das vergangene Jahrhundert darstellen.
Hier erfahren Sie mehr über das "Bibliothek der Alten" in Frankfurt
Informationen zur Filmpremiere am 10.03.2013 im "Historischen Museum Frankfurt"
Helmut Kramer Landesverrat, Justiz und Medienmacht
In der Affäre des Whistle-Blowers Edward Snowden sieht Stefan Kornelius den „eigentlichen Kern der Sache“ darin, daß ein amerikanischer Staatsbürger schlicht und einfach „Geheimnisverrat“ begangen hat. Mit dieser blinden Gesetzesgläubigkeit befindet sich der Leiter des Ressorts Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung in (un-)guter Gesellschaft, nicht nur mit vielen anderen staatstragenden Journalisten, sondern auch mit der Landesverrats-Rechtsprechung der deutschen Justizgeschichte.
„Landesverrat hat immer und zu allen Zeiten als das schimpflichste Verbrechen gegolten.“ Mit dieser Betonung der besonderen Verwerflichkeit des Landesverrats lobte 1951 die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Lüneburg in einem Verfahren gegen den NS-Generalrichter Manfred Roeder die in den Jahren 1942/43 vom Reichskriegsgericht in einem absolut „rechtsstaatlichen Verfahren“ gefällten Todesurteile gegen 49 Mitglieder der „Roten Kapelle“ als „unausweichlich“. In einer Zeit, in der sich „Deutschland in einem Kampf um Leben und Tod befand“, hätten die Verurteilten verbrecherisch das „Wohl des deutschen Reiches“ gefährdet.
Die Perhorreszierung des „Landesverrats“ hat eine lange obrigkeitsstaatliche Tradition. Bei der Reformierung des Strafrechts im Jahre 1833 wollte der Preußische Gesetzgeber sich mit der Enthauptung des Verräters nicht begnügen, sondern „für dieses scheußlichste und schrecklichste aller Verbrechen“ an der „geschärften Todesstrafe“, das heißt an der „des Rades“, mit der qualvollen Zertrümmerung der Gliedmaßen, festhalten. Ob im wilhelminischen Kaiserreich mit den Landes- und Hochverratsprozessen gegen Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg oder in der Weimarer Republik gegen tausende pazifistische Journalisten und Schriftsteller, darunter Carl von Ossietzky im „Weltbühnen-Prozeß“, immer ging es darum, Bürger an der Aufklärung über ebenso heimliche wie friedensgefährdende Rüstungsmaßnahmen und Kriegsvorbereitungen zu hindern, mit denen die Regierung und illegale Geheimorganisationen das eigene Volk hintergangen und die Verfassung und das Völkerrecht gebrochen hatten. Und immer hatte die Justiz die Macht der Massenmedien hinter sich, die den zum „Verräter“ stempelten, der den Verrat der Regierung am Volk und seinen Interessen ans Tageslicht brachte.
Verlaß auf die höchsten deutschen Gerichte bei der Abwehr der Aufdeckung verfassungswidriger Praktiken war auch bei dem bis heute geltenden Urteil des Bundesgerichtshofs gegen Werner Paetsch, dem als Angestellten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Bedenken gegen die unter Mitarbeit ehemaliger Gestapo- und SS-Leute organisierte Post- und Telefonüberwachung gekommen waren. Weil über einen von ihm zu Rate gezogenen Rechtsanwalt die illegale Überwachungspraxis an die Öffentlichkeit gekommen war, wurde Paetsch im Jahre 1966 wegen Geheimnisverrats zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Die Berufung des Verurteilten auf die Pflicht auch eines Beamten, schwerwiegende Mißstände, gar Grundrechtsverletzungen in der Praxis seiner Behörde ans Tageslicht zu bringen, wischten die Richter mit den Hinweis zurück, erst einmal müsse der Beamte seine Kritik auf „dem Dienstweg“ vorbringen – also sich gegen die Wand fahren lassen.
Wie negativ das Wort „Landesverrat“ in den Köpfen besetzt ist, zeigte sich auch, als Bundeskanzler Adenauer 1962 in einem Spiegel-Artikel einen „Abgrund von Landesverrat“ witterte und die konservative Cellesche Zeitung die Wiedereinführung der Todesstrafe für Landesverrat forderte.
Noch in den Jahren 2006 bis 2009 wollte die CDU/CSU in Übereinstimmung mit dem Koalitionspartner SPD an der Gültigkeit der NS-Todesurteile gegen die sogenannten Kriegsverräter festhalten. Ihr rechtspolitischer Sprecher Norbert Geis warf den Opfern „eine nach allen Maßstäben der zivilisierten Welt in höchstem Maße verwerfliche“ Handlungsweise vor. Zu einer Rehabilitierung dieser Opfer der mörderischen Wehrmachtsjustiz am 8. September 2009 durch den Bundestag führte erst der Nachweis einer Geschichtsfälschung des von der CDU ins Rennen vor dem Bundestag geschickten Sachverständigen Rolf-Dieter Müller vom Militärhistorischen Forschungsinstitut (s. Ossietzky 23/08).
Um auf den von Stefan Kornelius entdeckten vermeintlichen „eigentlichen Kern der Sache“ zu stoßen und die Meinungen des Alpha-Journalisten zu hinterfragen, muß – wer sich nicht gläubig auf sogenannten Qualitätsmedien verlassen will – wohl auch etwas von der hintergründigen Einbindung journalistischer Meinungsführer in die politischen Elitenzirkel wissen. Wo der springende Punkt mancher journalistischer Parteinahme liegt, dafür liefert Kornelius in eigener Person ein anschauliches Beispiel. Was bislang nur oberflächlich unter dem diffusen Schlagwort vom „embedded“ Journalismus bekannt, im übrigen aber ein von den Medien und der Medienwissenschaft ausgespartes Terrain war, ist jetzt in einer materialreichen Analyse ans Tageslicht gebracht worden. In seinem Buch „Meinungsmacht“ (Herbert von Halem Verlag, 2013) hat der Leipziger Hochschullehrer Uwe Krüger neben weiteren „meistvernetzten deutschen Journalisten“ die persönlichen und institutionellen Verbindungen der führenden Journalisten in den außenpolitischen Ressorts von Süddeutscher Zeitung, FAZ, Zeit und andern überregionalen Printmedien unter die Lupe genommen und in akribischer Recherche die von Meinungsmachern wie Josef Joffe (Die Zeit), Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ), Michael Stürmer (Die Welt) und Markus Schächter (ZDF) aufgebauten Netzwerke mit der dadurch entstandenen Nähe zur Macht, vor allem zur Sicherheits- und Militärpolitik beschrieben.
Bei Stefan Kornelius sind es 57 Personen und Organisationen, mit denen ein „erhöhtes Kontaktpotential“ besteht. Die von Uwe Krüger grafisch dargestellten Beziehungsgeflechte gleichen einem vielfältig verzweigten Spinnennetz. Bei diesen Journalismuseliten führen die allermeisten Wege direkt oder indirekt nach Washington und zur NATO und damit in eine Nähe zu den Schaltstellen der Sicherheits-, Rüstungs- und Militärpolitik.
Das Äußerste an Kritik solcher Journalisten an den Ausspähaktionen beschränkt sich auf die Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und die Mißachtung der Privatsphäre des Bürgers. Die Meinungsfreiheit, das Demonstrationsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung haben jedoch eine eminent politische Funktion. Wenn die unbeschränkt und grenzenlos durchgeführte Überwachung die Bürger an der unbefangenen Ausübung der Grundrechte hindert, verändert sich die Balance zwischen Regierungsmacht und Bürgerbeteiligung. Das Machtgefälle zwischen Exekutive, Parlament und Volk verschiebt sich zugunsten der Regierungsmacht. Mit der illegalen Überwachung durch die unheimliche „unsichtbare“ Hand der Geheimdienste verschafft sich der Staat einen entscheidenden Machtzuwachs.
Gegen diesen Machtmißbrauch hilft nur die Herstellung von Transparenz und Öffentlichkeit. Whistle-Blower, die als Demokraten angesichts staatlichen Unrechts Alarm schlagen, erfüllen eine für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unverzichtbare Bürgerpflicht.
Stefan Kornelius hat dem Whistle-Blower Edward Snowden den wohlmeinenden Rat gegeben, er solle sich doch freiwillig „einem rechtsstaatlichen Verfahren in den USA“ stellen – und sich damit in die Fänge einer in Staatsschutzsachen durch und durch politischen Justiz begeben. Welches „rechtsstaatliche“ Verfahren einem in der Nachfolge eines Carl von Ossietzky handelnden Whistle-Blowers drohen würde, läßt sich auch an der Konstruktion eines bislang fast unbekannten Geheimgerichts der USA ablesen. Die Richter des sogenannten FiSA-Court, der die Geheimdienste der USA überwachen soll, werden von dem Vorsitzenden Richter des Supreme-Court ernannt. Aktuell werden zehn der elf Richter dem republikanischen Lager zugerechnet. Die Verfahren sind geheim. Bis vor kurzem wußte die Öffentlichkeit weder von der Existenz dieses Gerichts noch von Art und Anzahl solcher Verfahren. Mit einem ähnlich totalen Ausschluß der Öffentlichkeit werden auch die Strafverfahren manipuliert, in denen wegen Staatsschutzdelikten verhandelt wird.
Über all diese Vorgänge, im Verlauf einer Entwicklung vom autoritären, eines Tages vielleicht sogar bis zum totalitären Staat, schweigen manche Journalisten. Damit machen sie sich nicht nur zum Handlanger der Macht, sondern sind mit ihrer Einbindung in die Politik selbst Teil der Macht.
Dieselben bellizistischen Journalisten, die die unbarmherzige Verurteilung des Obergefreiten und Whistle-Blowers Bradley Manning zu 35 Jahren Gefängnis ungerührt läßt und die das Leid der den militärischen Interventionen im Irak und in Afghanistan zum Opfer gefallenen hunderttausenden Zivilisten kaum erwähnenswert finden, können sich zum Fürsprecher eines Kriegsverbrechens machen. Der gleichfalls im Bereich Außenpolitik der Süddeutschen Zeitung arbeitende Peter Blechschmidt forderte sogar „Barmherzigkeit für Oberst Klein“ (SZ, 29.8.2012). Die zahlreichen Verstöße dieses Haudegens gegen das Kriegsvölkerrecht und die militärischen Einsatzregeln dürften der Beförderung des Obersten zum Generalmajor nicht im Wege stehen.
Helmut Kramer: in Ossietzky Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft, Heft 18, 31. August 2013
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Verschwundener "Täterturm" der Gedenkstätte Wolfenbüttel
Hier können Sie das Foto des "Täterturm" herunterladen. Seit der Eröffnung der Ausstellung im Jahre 1999 gibt es drei Täterakten. Zur Verschleierung, dass keine weiteren Täterakten hinzukamen, wurde der "Täterturm" mit seinen 16 Schubern für 48 Akten von der Gedenkstättenleitung eigenmächtig entfernt
Freitag 07.11.2011 Helmstedt
Stolpersteine in Helmstedt
Stadt Helmstedt lädt zur Gedenkstunde ein
Im Rahmen der Verlegung der Stolpersteine am Freitag, 7. Oktober 2011 im Helmstedter Stadtgebiet lädt die Stadt Helmstedt Bürgerinnen und Bürger zu einer Gedenkstunde ein. Das Gedenken beginnt mit der letzten Verlegung dreier Stolpersteine für die Familie Mindus um 11.15 Uhr in der Kornstraße 5. Bürgermeister Heinz-Dieter Eisermann lädt anschließend alle Interessierten zur Feierstunde in den Sitzungssaal des Rathauses ein. Neben Grußworten des Künstlers Gunter Demnig und Einblicken in die Schicksale betroffener Familien (Susanne Weihmann/Familie Mindus, Dr. Helmut Kramer/Moritz Klein) wird die Gedenkstunde mit jüdischer Musik von Holger Lustermann und Ensemble umrahmt.
Die Verlegung der Stolpersteine beginnt am 07.10. um 9.30 Uhr in der Leuckartstraße. Interessierte Bürgerinnen und Bürger sind ebenfalls herzlich zu einer Teilnahme an der Verlegung an den einzelnen Standorten eingeladen.
Verlegung der Stolpersteine:
9.30 Uhr Leuckartstraße, Albert Fischbach
10.00 Uhr Fechtboden, Moritz Klein
10.25 Uhr Kybitzstr. 6, Horst Lilienfeld, Marion Lilienfeld, Martha Lilienfeld
10.50 Uhr Kybitzstr. 1, Kurt Lilienfeld
11.15 Uhr Kornstr. 5, Carla Mindus, Frieda Mindus, Josef Mindus
Die Stolpersteine sind ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig, das schon in über 500 anderen Städten Deutschlands und in manchen anderen europäischen Ländern durchgeführt worden ist. Mit den kleinformatigen Gedenksteinen soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die im Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben worden sind. Die Mitglieder des Rates der Stadt Helmstedt haben sich dazu entschlossen, Patenschaften für die Stolpersteine, die in die verschiedenen Gehwege eingelassen werden sollen, zu übernehmen und zu vergeben.
1. Samstag, 20. 11.2010, 6.50 Uhr
Deutschlandradio Kultur (DLR)
Thema: Widerhall der Nürnberger Prozesse in der Bevölkerung, Ursachen für die
Nachsicht der bundesdeutschen Justiz mit den juristischen Schreibtischtätern.
Hier hören Sie den Beitrag
2. Montag, 22.11.2010, ab 19.20 Uhr,
3 SAT, Sendung Kulturzeit,
(hier noch einmal zu sehen)
ein Gespräch mit Helmut Kramer über den Fall Erna Wazinski, die Puvogel-Affäre
und die Reaktion der Justiz auf die von mir aufgedeckte klammheimliche Beendigung
des von Fritz Bauer betriebenen Strafverfahrens gegen die NS-Juristenprominenz
nach seinem Tod, eine skandalöse Veruntreuung seines Erbes.
näheres finden Sie hier
3. Vom 26.11. bis 27.11.2010 ist Helmut Kramer auf der
Konferenz Menschenrechtsbildung und NS-Geschichte in der
KZ-Gedenkstätte Neuengamme
näheres finden Sie hier
4. Mittwoch, 8.12.2010, ab 18.00 Uhr
ist Helmut Kramer zu einem Gespräch in das Historische Museum in Frankfurt/M.
eingeladen; das Thema ist: "Wo die Justiz blind ist - Der „Kampf um die Erinnerung”,
Forum Justizgeschichte und der Freund Fritz Bauer"
Näheres zu dieser Veranstaltung finden Sie hier
Ein Film mit dem Titel „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ kommt übrigens zur Zeit gerade in viele Kinos.
09.10.2010, EL-DE-Haus, Köln
Helmut Kramer; Prof. Dr. Rosemarie Will, Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Micheal Plöse
Ein Lebenswerk zu den Hinterlassenschaften des NS-Unrechts
Die Humanistische Union verleiht ihren diesjährigen Fritz-Bauer-Preis an den früheren Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, Dr. Helmut Kramer. Mit der Entscheidung würdigt die Bürgerrechtsorganisation Kramers Initiativen zur Aufarbeitung der Justizgeschichte des Nationalsozialismus, sein Engagement für Gedenkstätten und die rechtshistorische Ausbildung junger Juristen, seinen Einsatz gegen das Rechtsberatungsgesetz und nicht zuletzt die friedenspolitischen Bemühungen des Preisträgers.
Helmut Kramer hat sich wie kein zweiter der Aufgabe verschrieben, die Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus aufzuarbeiten: Sein Name steht gleichermaßen für die Rehabilitierung ....
mehr hier
Betrifft JUSTIZ Nr. 103 • September 2010
Frauke Höbermann
Ein Unbeugsamer
Ein Porträt anlässlich des 80. Geburtstags von Helmut Kramer, der am 9.10.2010 den Fritz-Bauer-Preis erhält.
Am 23. 1944 stirbt die 19-jährige Erna Wazinski in der Hinrichtungsstätte Wolfenbüttel unterm Fallbeil. Als „Volksschädling“ von einem NS-Sondergericht wegen angeblicher Plünderung zum Tode verurteilt. Eines von vielen Todesurteilen, die in dieser Zeit für Bagatelldelikte verhängt wurden. Dieses eine hat das Leben von Helmut Kramer entscheidend beeinflusst, ihm die Richtung gegeben, der er bis heute folgt – unbeirrt, trotz unzähliger Steine, die ihm immer wieder in den Weg gelegt werden, unbeeindruckt von Anfeindungen, Disziplinarmaßnahmen und Karrierebrüchen.
Es war sein erster größerer Fall als junger Gerichtsassessor Anfang
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Kampf um die Vergangenheit SWR2
Freitag 10.09.2010 10:05 bis 10:30 Uhr auf
SWR2
Kampf um die Vergangenheit
Sendung am Freitag, 10.09.2010, 10.05 bis 10.30 Uhr
Helmut Kramer und das Wirken ehemaliger Militärjuristen des NS-Regimes im demokratischen Rechtsstaat
Von Dörte Hinrichs und Hans Rubinich
Der ehemaliger Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, Helmut Kramer, gründete 1998 das Forum Justizgeschichte. Kramer geht es nicht nur darum, die NS-Militärjustiz zu beleuchten, sondern auch deutlich zu machen, wie das bundesdeutsche Justizwesen mit diesem Erbe umging und umgeht. Nicht nur Lehren aus der NS-Vergangenheit sollen gezogen werden, sondern die angehenden jungen Juristen inspiriert werden zu einer wahrhaft demokratischen Rechtsprechung.
Faschismus und Militarismus sind Zwillinge
Helmut Kramer
Heute, vor 65 Jahren kapitulierte das faschistische deutsche Regime vor der Anti-Hitler-Koalition. Es war nicht das Ende faschistischer und militaristischer Gesinnung. Noch am 9. Mai 1945 verurteilte ein Wehrmachtsrichter in Norwegen vier junge deutsche Soldaten zum Tode. Sie hatten sich geweigert, gegen die „Bolschewisten“ weiterzukämpfen. Mit jenem Richter habe ich später hier am Braunschweiger Landgericht zusammenarbeiten und an einem Richtertisch sitzen müssen.
Ihm und Tausenden anderer Mörder in der Robe (die amerikanischen Richter sprachen von dem „unter der Robe verborgenen Dolch“) ist nie der Prozess gemacht worden, ebenso wenig wie den meisten anderen Funktionären und Schreibtischtätern des Unrechtsregimes. Kein einziges der 80.000 Todesurteile der NS-Juristen wurde je gesühnt. Warum? Unsere Politiker, aber auch viele Bürger, blieben noch Jahrzehnte dem alten Denken verhaftet. Von Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechten hielten sie wenig.
Was den Faschismus des Dritten Reiches besonders gefährlich machte, bedrohlich für die gesamte Menschheit, war seine enge Verbindung mit dem Militarismus. Erst das ermöglichte den Aufstieg Hitlers und den Vernichtungskrieg der Wehrmacht, dem allein in der Sowjetunion 27 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Deshalb war nach dem 8. Mai 1945 eine der wichtigsten Antithesen zur NS-Diktatur: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.“ Diese Verbindungslinie zwischen Faschismus und Militarismus sollten wir auch heute im Auge behalten. Wir könnten uns ja beruhigt vor die Fernsehgeräte zurücklehnen, wenn es sich bei der Bundeswehr um eine Armee handelte, die allein der Landesverteidigung diente.
Inzwischen wissen wir: Was uns die Politiker jahrzehntelang als reines Friedensinstrument verkauft haben, interveniert weltweit mit immer wieder völlig aus dem Ruder laufenden Militäraktionen. Mit der politischen Destabilisierung von ohnehin schon konfliktreichen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen. Kriege, die den Hunger und das sonstige Elend in diesen Ländern noch verschlimmern. Dies im Bündnis der Bundesrepublik mit einer waffenstarrenden Großmacht, die vor nichts mehr Halt macht: nicht vor Bombardierungen aufs Geratewohl, bei der sich kaum noch Frauen und Kinder und andere Zivilisten von wirklich oder vermeintlichen Kämpfern unterscheiden lassen. Wissentlich macht sich die Bundesrepublik zum Komplizen einer Großmacht, die systematisch die Menschenrechte verachtet, die Menschen foltert und in Geheimgefängnissen verschwinden lässt.
Zum ersten Mal seit dem Ende des Vernichtungskriegs der Wehrmacht spricht jetzt ein Bundeswehroffizier ganz ungeniert von „vernichten“: Oberst Georg Klein im Zusammenhang mit der Bombardierung einer Menschenmenge, deren genaue Zusammensetzung er nicht kannte, in der er lediglich sog. Taliban vermutete. Wörtlich: er habe diese „Menschen vernichten“ wollen. In seinem Vernichtungswahn entging ihm, dass die Menschenansammlung überwiegend aus friedlichen Männern und Kindern bestand.
Das alles kommt nicht von ungefähr. Die Strukturen in der Bundeswehr haben längst nichts mehr mit dem „Staatsbürger in Uniform“ zu tun, dem früher angepriesenen Vorbild des allein der Landesverteidigung dienenden Soldaten. Zum engeren Beraterkreis der Bundeskanzlerin gehört der Oberst Erich Vad, der jetzt kurz vor der Beförderung zum General steht. Er scheut sich nicht vor engen Kontakten mit rechtslastigen Organisationen, die der „neuen Rechten“ zugerechnet werden. Sein großes Vorbild ist der Jurist Carl Schmitt, der „Kronjurist“ des Dritten Reiches. Oberst Vad beklagt das „negative und verengte Bild von der Wehrmacht, wie es heute vorherrsche“. In den „Ausbildungshilfen“ für die Grundausbildung werden neben Erlebnisberichten aus der Wehrmacht und ihren Vorschriften Drill- und Kampftechniken als vorbildhaft empfohlen.
Nein, der 8. Mai war nicht das Ende militaristischer Gesinnung in der Bundesrepublik.
Zurück zu den Tagen vor 65 Jahren: Damals, am 11. April 1945, hörte ein 14-jähriger Junge in Helmstedt ein lautes Geräusch vor der Haustür. Er holte seinen im Keller versteckten Fotoapparat, trat aus der Haustür heraus und fotografierte den direkt davor stehenden amerikanischen Panzer. In einer ähnlichen Situation in Afghanistan wäre das Kind, das ich damals war, vielleicht gleich erschossen worden.
Faschismus durch die Hintertür
Warum sage ich das alles? Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass manche Gefahren für eine demokratische, humane Gesellschaft heute auch auf verkappte Weise, in subtileren Formen auftreten als in Gestalt von Hakenkreuzen, SS-Runen, Rudolf Heß glorifizierenden und Nazi-Parolen brüllenden Leuten. Deshalb darf der Antifaschismus nicht zum bloßen Ritual erstarren. Gewiss tut es gut und ist auch notwendig, sich immer wieder an den schon äußerlich unverhohlen in Springerstiefeln als Faschisten auftretenden Gruppen zu reiben und sich ihnen in den Weg zu stellen. Doch reicht es nicht aus, unseren Blick auf DIE Faschisten zu fixieren. Über den bekennenden Faschisten dürfen wir nicht die anderen Gefahren übersehen, die dem demokratischen Rechtsstaat drohen und das Grundgesetz zu einer bloß unverbindlichen Formel verblassen lassen.
Damit meine ich auch die vielen Politiker, die dem rechten Rand geistigen Rückhalt geben, wenn sie Ausländern, Hartz IV-Empfängern und andere Minderheiten mit populistischen Parolen diskriminieren. Wenn dann bei der Bundestagswahl 16 % für die Partei der Besserverdienenden stimmen und bekannte deutsche Intellektuelle wie Peter Sloterdyk und Norbert Bolz dazu aufrufen, alle, die sozial nicht mithalten können, abzuschreiben, dann ist die Neue Rechte längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Das uns alle tragende Prinzip ist und bleibt: das Bündnis gegen Rechts bezieht seine Kraft aus der geschichtlichen Rückschau. In dem Aufruf zur Demonstration vor dem Braunschweiger Schloss heißt es dazu: „Wir wollen am 8. Mai den Opfern des Faschismus gedenken, aber auch an diejenigen erinnern und ihnen danken, die gegen den Faschismus gekämpft haben, ob als Soldaten der Alliierten, PartisanInnen oder WiderstandskämpferInnen.“ Ich lese das und frage mich: Fehlt da nicht etwas? Gab es im Dritten Reich nur Opfer und Widerstandskämpfer? Gewiss gibt uns das Gedenken an die Leiden der Opfer und an den Mut der Widerstandskämpfer erst die Kraft weiterzuarbeiten. Sind nicht aber auch die Täter es wert, dass wir uns an sie erinnern? Ihr Opportunismus, ihre Niedertracht sollten der heutigen Generation zur Warnung und Abschreckung dienen.
Diese Warnung kommt nicht von ungefähr. Ich denke an die auch in Demokratien und sich demokratisch verstehenden Gesellschaften grassierende Gefahr des Konformismus, bei Einzelnen, in Gruppen und bei den Massenmedien. Um nur eine Gruppe zu erwähnen, die sich noch immer nicht von einer Mainstream-Mentalität und vom blinden Karrieredenken frei gemacht hat: die Juristen. Im Dritten Reich waren sie es, die das Regime stabilisierten. Sie waren es, die Unrecht als Recht vorgaben und unter Missbrauch des juristischen Handwerkszeugs vor dem Unrecht einer Legalitätsfassade errichteten.
Unrechtsstaat ohne Täter?
Dem Lernen aus der Geschichte dienen auch die der Erinnerung an die faschistische Diktatur gewidmeten Gedenkstätten. Eine solche Gedenkstätte haben wir – neben der Gedenkstätte an unserem heutigen Versammlungsort (Gedenkstätte KZ-Außenlager Schillstraße) – auch in Wolfenbüttel: nämlich die Gedenkstätte für die Opfer der NS-Justiz. Nach ihrer Aufgabe ist sie einzigartig. Sie könnte bundesweite Ausstrahlung haben, nämlich als Zentrale Gedenkstätte zur NS-Justiz. Zugleich mit der Aufgabe, die heutigen Juristen an ihre ganz besondere Verantwortung zu erinnern. In Wolfenbüttel kann man das ehemalige Hinrichtungsgebäude besichtigen. Dort wurden, mitten in der Wolfenbütteler Innenstadt, an die 600 Menschen durch den Scharfrichter umgebracht.
Wer waren aber die wirklichen Täter? Es waren Richter, Staatsanwälte, angesehene Gerichtspräsidenten und reputable Ministerialbeamte, die fast alle noch in demokratischen Zeiten eine ganz normale und bis heute unveränderte Juristenausbildung absolviert hatten. Nachdem man die Gedenkstätte erschüttert verlassen hat, kann man in dem Nebengebäude die Ausstellung der Gedenkstätte besichtigen. Dort erfährt man einiges über die Schicksale der Opfer. Täternamen werden aber nur sparsam genannt. Besonders interessante Täter fehlen: z.B. der Oberstrichter Dr. Hans Meier-Branecke, einer der höchsten Wehrmachtsjuristen, verantwortlich für Hunderte von Todesurteilen, nach dem Krieg als Senatspräsident ranghöchster Strafrichter in Braunschweig. Es fehlt auch Werner Hülle, der Organisator des „Nacht- und Nebel“ - Befehls Hitlers, dem viele in Wolfenbüttel hingerichtete Widerstandskämpfer aus Frankreich und Belgien zum Opfer fielen.
Vergeblich sucht man auch nach verständlichen Informationen über die ebenso perfiden wie raffinierten Methoden, mit denen die NS-Juristen ihre Unrechtsentscheidungen mit dem Schein des Richtigen und Legalen verbrämten. Wie nützlich wäre es, wenn sich vor allem die jungen Juristen mit der Gefahr des Missbrauchs des erlernten juristischen Wissens auseinandersetzen könnten, eingedenk der Versuchungen, die auch heute von der Politik an Richter und Staatsanwälte herangetragen werden!
Obgleich die Ausstellungsräume genügend Platz bieten, fehlen auch viele weitere grundlegende Informationen über die NS-Justiz und ihre Aufarbeitung nach 1945.
Es ist der Gedenkstättenleitung in den letzten 21 Jahren offensichtlich nicht gelungen, die ihr von mir überlassenen reichhaltigen Materialien auszuwerten. Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als an den Geschäftsführer der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten in Celle mit der Bitte heranzutreten, unverzichtbaren Informationen, insbesondere über die Täter etwas mehr Platz einzuräumen. Die wortkarge Antwort wird Sie erstaunen. Ich zitiere: „Der Respekt vor den Opfern gebietet es, an der Primäraufgabe der Gedenkstätte (mit Primäraufgabe ist das Gedenken an die Opfer gemeint – Anmerkung HK) keine Abstriche zu machen.“
Mit anderen Worten: Die Opfer müssen dafür herhalten, um möglichst wenig an die Täter und ihre diabolische Vorgehensweise erinnern zu müssen. So wenig manche ihre Funktion rein technokratisch verstehende Historiker etwas vom Recht und von der raffinierten Juristensprache verstehen, in einem Punkt ähneln sie manchen Juristen: Sie verstehen es, die wahren Absichten zu verschleiern und hinter hohlen Worten zu verstecken, um unbequemen Fragen aus dem Weg zu gehen.
Dabei gehört, neben der Beschäftigung mit der menschenverachtenden Ideologie der Faschisten, die Auseinandersetzung mit den NS-Juristen, jenen Schreibtischtätern par excellence, vielleicht zu dem Lehrreichsten, was die Geschichte des Dritten Reiches zu bieten hat. Wie aktuell die Gefahr ist, dass angeblich allein dem Recht verpflichtete Juristen sich tatsächlich in erster Linie an politischen Vorgaben orientieren, zeigt die in diesen Tagen bekannt gewordene Entscheidung der Bundesanwaltschaft zu dem Massaker bei Kundus.
Nach allen Regeln der Kunst, aber gerade jener höchst zweifelhaften Kunst, Unrecht als Recht auszugeben, ist die Bundesanwaltschaft bei der Verneinung jeglichen Verschuldens des Obersten Georg Klein ausgerechnet den sich besonders aufdrängenden Fragen aus dem Weg gegangen, ein juristischer Skandal, den keines unserer Massenmedien entsprechend kritisiert hat. Einen Unterschied zur NS-Justiz gibt es allerdings: Die Strafverfahren gegen die faschistischen Mörder in der Robe hatten eine abgeschlossene Vergangenheit zum Gegenstand. Bei der Entscheidung der Generalbundesanwältin ging es aber jetzt um die Grundsatzfrage, ob man aufs Geradewohl, etwa aus 8.000 m Höhe, eine nicht genau erkennbare Menschenmenge bombardieren darf. Die Generalbundesanwältin hat einen Freibrief für solche künftigen Kriegsverbrechen ausgestellt.
Denken wir aber auch an das System des menschenfernen, menschenverachtenden Wirtschaftsliberalismus, mit seinem zerstörerischen finanzkapitalistischen System. Unmittelbare Verbindungslinien mit dem Faschismus lassen sich hier nicht erkennen. Und trotzdem werden hier mit allen Konsequenzen Gefahren heraufbeschworen, die zu einer nicht weniger ungeheueren Weltkatastrophe führen können, wie sie der Nationalsozialismus verursacht hat. Die Schreibtischtäter von morgen, ja von heute, sind schon unter uns.
Kurz: Wir müssen unseren Aktionskreis erweitern. Ein Beispiel, um auf den Kampf gegen den Krieg zurückzukommen: Ich freue mich über die vielen Antifaschisten, die an Demonstrationen gegen den Krieg teilnehmen. Doch könnten und müssten es mehr sein. Nötig ist eine bessere Zusammenarbeit der antifaschistischen Gruppen. Die bundesweit mobilisierte Demonstration in Dresden war ein Erfolg. Aber der eine Woche später stattfindenden Demonstration in Berlin gegen den Krieg in Afghanistan hätte ich mehr Teilnehmer gewünscht.
Das alles zeigt: Wir müssen mehr werden, denn für Antifaschisten gibt es viel zu tun, auf vielen Arbeitsfeldern! Die Erinnerung an den 8. Mai, die uns heute hier zusammengeführt hat, gibt uns den nötigen Mut und die Kraft dazu.
hier kann diese Rede im PDF-Format heruntergeladen werden
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... Immer doch
schreibt der Sieger die Geschichte des Besiegten
Dem Erschlagenen entstellt
Der Schläger die Züge
Aus der Welt geht der Schwächere
und zurück bleibt die Lüge
Bertolt Brecht