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Vermerk zu NSG-Prozesse

Vermerk: Zu dem Thema „Die NSG-Prozesse im Spiegel der Medien“:
von Dr. Helmut Kramer

Vorweg nenne ich einige Zufallsfunde:

  1. Michael Schornstheimer:
    Bombenstimmung und Katzenjammer.
    Vergangenheitsbewältigung:
    Quick und Stern in den 50er Jahren.
    Köln 1989

  2. Michael Schornstheimer:
    Die leuchtenden Augen der Frontsoldaten.
    Nationalsozialismus und Krieg in den Illustriertenromanen der Nachkriegszeit
    (Metropolverlag, Berlin 1995)
    (Diese Veröffentlichung dürfte nur einen beschränkten Bezug zu unserem
    Thema haben)

  3. Ulrich Kröger:
    Die Ahndung von NS-Verbrechen vor westdeutschen Gerichten und ihre Rezeption in der deutschen Öffentlichkeit 1958-1965
    unter besonderer Berücksichtigung von „Spiegel“, „Stern“, „Zeit“, „SZ“, „FAZ“, „Welt“, „Bild“, „Hamburger Abendblatt“, „NZ“ und „Neuem Deutschland“.
    phil. Diss. Hamburg 1973

  4. Ingrid Laurien:
    Die Verarbeitung von Nationalsozialismus und Krieg in den politisch-kulturellen Zeitschriften der Westzone 1945 bis 1949,
    in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht
    Bd. 39 (1988), S. 220-237
    (nur geringer Bezug zu unserem Thema)

  5. Verschiedene Veröffentlichungen von Heiner Lichtenstein
    unter anderem: Heiner Lichtenstein, Im Namen des Volkes? Eine persönliche Bilanz der NS-Prozesse
    Köln 1984

    In einem der letzten Hefte der „TRIBÜNE“ des Jahres 2004 hat Heiner Lichtenstein noch einmal das Desinteresse anschaulich der Presse an den meisten NSG-Prozessen geschildert.

  6. Kerstin von Linnen:
    Kesselrings letzte Schlacht.
    Schöningh Verlag. Paderborn 2004 (mit Schilderung der Pressekampagne von STERN usw., mit Kritik an dem Strafverfahren gegen Kesselring)


Vielleicht kann man auch nach Zeitabschnitten unterscheiden:

  1. Abschnitt 1945 bis ungefähr 1946:
    Mitunter engagierte Berichterstattung, die oftmals die Kritik von Gewerkschaften, Kommunisten und Sozialdemokraten an Freisprüchen und an zu milde empfundenen Strafen aufgriff. Auch Lokalzeitungen berichteten.

  2. 1949 bis ungefähr 1958:
    Teils Schweigen, teils aber Berichterstattung mit Ressentiments gegenüber einer konsequenten strafrechtlichen Aufarbeitung.

  3. 1958 bis ungefähr 1977:
    Intensive Berichterstattung nur bei als besonders spektakulär bewerteten Strafprozessen. Beispiele: Ulmer Einsatzgruppenprozess; Auschwitz-Prozess usw. Sonst kein Interesse der Medien, von sich aus – also ohne Hinweis durch Pressemitteilungen der Justiz – NSG-Verfahren auszugreifen. Was außerhalb öffentlicher Hauptverhandlungen vorging, also Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, kam wahrscheinlich den allermeisten Journalisten gar nicht einmal der Gedanke, dass man sich hinter den Kulissen mit Fällen von Massenmord beschäftigen könnte.

  4. Ab ungefähr 1978:
    • Von jetzt an wurde über die meisten bis zur Hauptverhandlung gediehenen Prozesse wohl berichtet, aber vor allem in der Regionalpresse eher als Pflichtübung, wenig ausführlich.

    • Natürlich muss man zwischen Lokalpresse/Regionalpresse einerseits und den überregionalen Printmedien andererseits unterscheiden, ferner zwischen Printmedien und Rundfunk/Fernsehen.

    • Man könnte auch über die Reaktion der Presse zu bestimmten einzelnen Verfahren berichten.

    • Beispiel: Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen Dr. Manfred Roeder (Ermittlungsführer in dem Verfahren vor dem Reichskriegsgericht im Komplex „Rote Kapelle“).

    • Hierzu sind im STERN im ersten Halbjahr 1951 ausgesprochen reaktionäre Artikel erschienen, in denen die Mitglieder des „sowjetischen Spionagenetzes von der ‚Roten Kapelle’ als von der Sowjetunion bezahlte Landesverräter und Hochverräter und die Verfolger der Widerstandskämpfer als vorbildliche Beschützer des Vaterlandes hingestellt wurden („STERN“, u. a. Nr. 19 v. 13.05.1951, S. 13 ff, S. 26; Nr. 20. v. 20.05.1951, S. 13 ff, Heft Nr. 23 v. 10.06.1951, S. 16, Nr. 24 v. 17.06.1951, S. 16 ff, Nr. 25 v. 24.06.1951, S. 16 ff).

    • Andere Zeitungen haben über den Roeder-Prozess kaum berichtet. Soweit mir bekannt, haben sich nicht einmal die in Lüneburg erscheinenden Lokal- bzw. Regionalzeitungen mit dem Verfahren gegen Röder befasst.

    • Noch viel später (im Jahre 1968) hat der SPIEGEL dem Thema „Rote Kapelle“ als „sowjetischem Spionagering“ eine umfangreiche Serie gewidmet (erster Artikel Nr. 21 v. 20.05.1968, letzter Artikel Nr. 30 v. 22.07.1968).

    • Ich habe jedenfalls beim ersten flüchtigen Durchblättern des Buches von Michael Schornstheimer („Bombenstimmung …“), das sich angeblich doch mit STERN und QUICK beschäftigt, nichts zur Reaktion der Presse auf den Fall Roeder usw. gefunden.

  5. Ausgerechnet über die bedeutendsten Strafverfahren gegen die Juristenprominenz hat die Presse kaum berichtet:
    • Der Wiesbadener Prozess zu der vom Justizministerium angeordneten Aktion
      „Überstellung von ‚asozialen’ Strafgefangenen an die Gestapo zur Zwangsarbeit bzw. Ermordung in den Konzentrationslagern
      (vgl. C. F. Rüter, Justiz und NS-Verbrechen, Bd. 9, S. 365).????

      Ernst Niekisch beklagt die ausgebliebene Presseberichterstattung über das Wiesbadener Verfahren und überhaupt über den Justiz-Massenmord an Gefangenen (vgl. Ernst Niekisch, Erinnerungen, S. 354 f).

    • Das Verfahren gegen Franz Schlegelberger, die Oberlandesgerichtspräsidenten und Generalstaatsanwälte (Konferenz vom 23./24. April 1941):

      Dazu verweise ich auf meinen Beitrag in Hanno Loewy / Bettina Winter (Hg.), NS-„Euthanasie“ vor Gericht, S. 109-112, S. 127 f.

      Immerhin haben einige Presseorgane in einem Zwischenstadium des Verfahrens bereichtet (vgl. Kramer a. a. O., S. 128, Anm. 123). Die letzen Berichte erschienen aber Anfang 1967. Schwer nachvollziehbar ist, dass seitdem keinerlei Berichterstattung mehr erfolgte, insbesondere nicht über die skandalöse Außerverfolgungsetzung der Angeschuldigten im Jahre 1970. Hier vermute ich aber weniger ein bewusstes Totschweigen durch die Presse als mangelnde Aufmerksamkeit. Journalisten – zumindest Journalisten der damaligen Generation – führen anscheinend nicht immer einen Fristenkalender (Juristen sind da pedantischer). Schwer begreiflich ist allerdings, dass nicht einmal der Spiegel berichtet hat; schließlich hatte der SPIEGEL damals in Frankfurt ein besonders gut ausgestattetes Büro. Und der Frankfurter Korrespondent des SPIEGEL war gewissermaßen bei den Frankfurter Justizbehörden „akkreditiert“. Über die „Euthanasie“-Prozesse selbst hatte der SPIEGEL damals wiederholt berichtet. Allerdings hatte man wohl auch bei der Berichterstattung in dem früheren Stadium des Frankfurter Verfahrens die Brisanz des Themas nicht voll erkannt. Die meisten Artikel haben über das Verfahren eher nur beiläufig berichtet.

  6. Eine Sonderrolle hat Friedrich Karl Fromme in der FAZ gespielt. Von ihm finden sich in der FAZ noch in den 90er Jahren apologetische Äußerungen insbesondere zur Aufarbeitung der NS-Justiz (eine Blütenlese solcher Artikel in meinem Dossier „F. K. Fromme“).

  7. Erwähnenswert könnte auch sein, dass Gerichtsreporter, die sich besonders kritisch mit Rückständen bei der Aufarbeitung oder gar kritisch mit einer Boykottierung von Aufarbeitung beschäftigten, ihrerseits einem erhöhten Risiko ausgesetzt waren, selbst mit einem Strafverfahren überzogen zu werden.

    Beispiel: das Strafverfahren gegen den Chefreporter der Frankfurter Rundschau Volkmar Hoffmann wegen eines Teils seiner Berichterstattung über die Affäre Heyde/Savade (vgl. Klaus-Detlev Godau-Schüttke, Die Heyde/SavadeAffäre, 2. Aufl. Baden-Baden, 2001, S. 304 ff).

  8. Schon beinahe eines besonderen Aufsatzes wert wäre das Thema „Ehrenschutz und Berichterstattung in NSG-Fragen“. Hierzu habe ich eine Sammlung von Gerichtsentscheidungen. In den 60er und wohl auch noch in den 70er Jahren hat die Justiz da oftmals ziemlich kleinlich geurteilt und z. B. einem prominenten Mediziner, über dessen Verbrechensbeteiligung ein Journalist berichtet hatte, Recht gegeben.

  9. Interessant ist auch das Bonner Verfahren gegen den Botschafter Dr. Ernst Jung (Sohn des Berliner Generalstaatsanwalts Dr. Jung, der auf der Konferenz am 23./24. April 1941 dem Mord eines Geisteetskranken zugestimt hatte): Nach Anklagedeerhebung gegne Jung wegen Verleumdung des Verfassers (Helmut Kramer) des Aufsatzes in der Kritischen Justiz 1984, 25 ff, wurde der Spieß von der Bonner Justiz nahezu umgedreht.

  10. Über die Art, in der – mit unterschiedlicher Entwicklung – die Presse über den „20. Juli“ – und damit indirekt auch über die justitielle Verfolgung der Widerstandskämpfer des 20. Juli – berichtet hat, gibt es einige Veröffentlichungen, u. a. Regina Holler, 20. Juli 1944: Vermächtnis oder Alibi?. München 1994, S. …

  11. C. F. Rüter, Amsterdam, hat ab ungefähr 1962 Presseberichte über NSG-Verfahren gesammelt und dazu einen sog. Zeitungs-Ausschnittsdienst beauftragt. Nach seiner Mitteilung umfasst die so zustande gekommene Sammlung 10 Regalmeter.

  12. Aus dem umfangreichen Themenkomplex fällt mir noch das Stichwort „Presse und Nürnberger Prozesse“ ein. Im Unterschied zu der juristischen Fachpresse (Neue Juristische Wochenschrift usw.) hat die Tagespresse über den Hauptkriegsverbrecherprozess wohl ziemlich umfangreich berichtet. Wesentlich geringer war aber wohl die Häufigkeit der Berichterstattung über die Nachfolgeprozesse.

    Als es dann um die Begnadigung der von den amerikanischen , englischen und französischen Besatzungsgerichten verurteilten Kriegsverbrecher ging, ging die Kurve der Berichterstattung allerdings wieder nach oben, allerdings wohl mit apologetischer Tendenz.

    Der gesamte Komplex „Presse und strafrechtliche Aufarbeitung der NSG-Verbrechen ist aber so umfangreich, dass ihm auch endlich einmal eine Doktorarbeit oder Habilitationsschrift gewidmet werden sollte.

    Soeben fällt mir noch ein: sollte es wegen beschränkter Materialbasis wünschenswert sein, den Artikel durch weitere Aspekte anzufüttern, könnte man zusätzlich auf Gerichtsverfahren der Zeit nach 1945 eingehen, die das Verhalten von Journalisten im Dritten Reich zum Gegenstand hatten: unter anderem Freispruch von Hans Fritsche oder die juristischen Auseinandersetzungen zwischen dem von Gerhard Löwenthal geleiteten „ZDF-Magazin“ und Henri Nannen um die Vorgeschichte von Henri Nannen 1944 (vgl. Norbert Frei, (Hg.), Karrieren im Zwielicht, S. 283-292).