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Der Zweck heiligt die Verschleppung

Eine Auseinandersetzung mit der Ablehnung des Generalbundesanwalts, die Ermittlungen in den CIA-Entführungsfällen zu übernehmen

Betrifft JUSTIZ Nr. 85 • März 2006, S. 234 f

Blickpunkt

Dr. Helmut Kramer

Generalbundesanwalt Kay Nehm hat es am 29. Juni 2005 abgelehnt, die Entführungsfälle El Masri und Abu Omar zu übernehmen. Der Generalbundesanwalt sei nur dann zuständig, wenn eine „Verschleppung“ vorliegt und der Fall eine „besondere Bedeutung“ hat (vgl. das Schreiben auf S. 236).

Verschleppungen setzen gem. § 234 a StGB voraus, dass jemand mit Gewalt aus dem Gebiet der Bundesrepublik verbracht und damit der Gefahr ausgesetzt wird, „aus politischen Grün den verfolgt zu werden“. Wie der GBA im Fall Abu Omar mit Schreiben vom 25.8.2005 ausgeführt hat, wird „Verschleppung“ historisch als Straftat gesehen, die von totalitären Regimen ausgeht, z. B. von der DDR. Im Falle Abu Omar (und ähnlich wird der GBA wohl auch seine Entscheidung im Fall El Masri begründet haben) seien die Täter aber nicht in einer Diktatur, sondern wahrscheinlich in einer Demokratie, nämlich in USA-Institutionen, zu suchen.

„Verschleppen“ können nicht nur totalitäre Regime
An dieser Begründung ist mehrerlei schief. Dass die Verschleppung von einer Diktatur oder gar einem totalitären Regime ausgehen müsse, wird von § 234 a StGB nicht gefordert. In den Kommentaren zu § 234 a StGB sucht man nach einer solchen Interpretation vergeblich. Der GBA fügt dem Gesetz ein neues Merkmal bzw. eine neuartige Bedingung der Strafbarkeit hinzu. Mit einem solchen Erfordernis – der Gesetzgeber hätte mit einer bestimmten Täterkonstellation rechnen müssen – hätten die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nie verfolgt werden können. Denn bei der Schaffung des Strafgesetzbuches hat niemand sich träumen lassen, Verbrechen, gar Massenmorde könnten im Namen des Staates begangen werden.

Voraussetzung ist nach § 23 4 a StGB allein, dass die Verschleppung einen Menschen der Gefahr aussetzt, aus politischen Gründen verfolgt zu werden und hierbei im Widerspruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen durch Gewalt- oder Willkürmaßnahmen Schaden an Leib oder Leben zu erleiden oder der Freiheit beraubt zu werden. Nicht erforderlich ist dagegen, dass sich auch die historische Konstellation, die den Gesetzgeber zum Erlass des Gesetzes veranlasst hat – hier: Verschleppung durch das stalinistische oder andere totalitäre Regime –, im konkreten Fall wiederholt hat. Auch die Gründe der Verschleppung, nämlich der mit ihr verfolgte Zweck, brauchen nicht verwerflich zu sein. Die Verschleppung eines Menschen (mit Auslieferung in einen rechtsfreien Raum) ist immer verwerflich. Auch hier heiligt der Zweck nicht das Mittel.

Einseitig verengter, ergebnisorientierter Politikbegriff
Insbesondere im Fall einer Auslieferung in ein Land wie Ägypten (Abu Omar) besteht die Gefahr politischer Verfolgung. Dort prallen nämlich religiös-politische Fronten heftig aufeinander, deren Exponenten zur gegenseitigen Bekämpfung nicht vor ungesetzlichen und menschenrechtswidrigen Maßnahmen zurückscheuen. Wenn jemand mit der Verdächtigung, er sei in die gesetzwidrigen Aktionen der einen oder anderen Seite verstrickt, in ein solches Land überstellt wird, liegt die Gefahr auf der Hand, dass ihm dort nicht aus irgendwelchen Grün den, sondern gerade aus politischen Gründen Schlimmes widerfährt. Der GBA meint, im Fall einer Entführung nach Ägypten sei der Entführte nicht der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt. Denn „ausschließliches Ziel“ der USA sei in solchen Fällen allein die „Bekämpfung des radikal-islamistischen Terrorismus“. Der GBA geht hier von einem einseitig verengten, ergebnisorientierten Politikbegriff aus. Wie weit man die wirkliche oder angebliche Absicht der Bekämpfung des radikal-islamistischen Terrorismus in den Dienst politischer Ziele stellen und dabei vor gröbsten Rechtsverletzungen nicht zurückschreckt, haben gerade die USA in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder gezeigt, zuletzt erneut mit völkerrechtswidrigen Angriffskriegen, rechtsstaatswidriger und menschenrechtswidriger Behandlung von Gefangenen in den USA bzw. ihren Stützpunkten (Guantanamo) selbst und mit anderen Maßnahmen.

Nochmals zu der angeblichen Voraussetzung, die Straftat müsse von totalitären Regimes ausgegangen sein. Mit dieser Voraussetzung, die in dem Gesetzeswortlaut keinerlei Stütze findet, stellt der GBA die Dinge nahezu auf den Kopf. Ist es denn weniger schlimm, ist es nicht sogar besonders unerträglich, wenn Verschleppungen und andere Menschenrechtsverstöße in einem Staat mit dem Anspruch des demokratischen Rechtsstaats vor sich gehen, vielleicht sogar unter Mitwirkung oder Billigung der staatlichen Organe? Auch würde § 2 34 a StGB in der Mehrzahl der Fälle obsolet: Die im Zugriffsbereich einer rechtsstaatlichen Justiz lebenden Täter brauchten eine Kontrolle durch die Strafverfolgungsbehörde nicht zu befürchten. Der Täter im Herrschaftsbereich wird man dagegen frühestens nach dem Zusammenbruch des betreffenden Regimes habhaft. Selbst dann sind die Taten meist verjährt, wie im Fall der DDR, übrigens einem der seltenen Ausnahmefälle, in denen man an solche Täter überhaupt herankommt. Der GBA hat die Vorschrift des § 234 a StGB im Dienst außenpolitischer Interessen instrumentalisiert. Menschenrechtsverächter in Demokratien und in totalitären Staaten können sich hier die Hände reichen.

Menschenrechtsverächter können sich die Hände reichen
Nach der Begründung des GBA spielt auch die Auslieferung an ein totalitäres Regime keine Rolle: Der Umstand allein, dass Abu Omar einem totalitären System überantwortet worden ist, könnte an der Bewertung als nicht tatbestandsmäßig nichts ändern. Dabei ist die Zusammenarbeit, mit der sich ein Staat mit rechtsstaatlichem Anspruch in die Komplizenschaft zu einem menschenrechtswidrigen System begibt, nicht nur für die Strafzumessung, sondern auch im Bereich der tatbestandlichen Voraussetzungen geradezu ein erschwerendes Merkmal.

Unter den mit den Ermittlungen in den Fällen El Masri und Abu Omar befassten Strafverfolgungsbehörden steht der GBA allein da. Die Staatsanwaltschaft Memmingen betrachtet den Fall El Masri weiterhin als Verschleppung. Weil der Tatbestand der Verschleppung in die Kompetenz des Oberlandesgerichts München und der Staatsanwaltschaft bei dem OLG München falle, hat sie den Fall nach München abgegeben. Im Ergebnis ist allerdings zu befürchten, dass auch diese Staatsanwaltschaften bei außenpolitischen Freunden, mögen sie sich noch so schwerwiegender Verstöße gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte schuldig gemacht haben, beide Augen zudrücken. Ebenso wie es neuerdings böse Folter und gute Folter und böse Lügen und gute Lügen (insbesondere zur Begründung völkerrechtswidriger Angriffskriege) gibt, gibt es nun auch strafrechtlich zu verfolgende Verschleppungen im Dienst der schlimmen und nicht verfolgbare im Dienst der guten Sache. Und nachdem bereits Art. 26 GG und § 80 StGB praktisch außer Geltung gesetzt worden sind, droht dem Tatbestand des § 234 a StGB ein ähnliches Schicksal. Oder sollte es bei den beteiligten Strafverfolgungsbehörden Staatsanwälte mit Rückgrat geben.