Verfassungsbeschwerde
Rechtsberatungsgesetz von 1935 - Instrument der Disziplinierung Verfassungsbeschwerde gegen die Poenalisierung bürgergesellschaftlichen Engagements
55 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft muss sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage auseinandersetzen, ob es erlaubt ist, sich aktiv für die Aufhebung von Terrorurteilen aus der NS-Zeit einzusetzen. Zur Entscheidung steht auch an, ob rechtserfahrene Bürger anderen Bürgern rechtliche Auskünfte geben dürfen oder zur Wahrung eines von den Nationalsozialisten eingeführten Anwaltsmonopols selbst ihre besten Freunde an einen Rechtsanwalt verweisen müssen. Nach immer noch herrschender Gerichtspraxis müssen auch Mitarbeiter von amnesty international, Pro Asyl, des Caritas-Verbandes oder auch Pfarrer ihren Schützlingen jegliche Rechtsauskunft verweigern.
Besonders gern wird das Rechtsberatungsgesetz gegenüber PazifistInnen instrumentalisiert. So hat das Amtsgericht Braunschweig zwei Totale Kriegsdienstverweigerer wegen "missbräuchlicher Rechtsberatung" deshalb verurteilt, weil diese mit gerichtlicher Zulassung als Verteidiger anderer Totalverweigerer aufgetreten waren. Die politische Absicht, die Verteidigung von Totalverweigerern zu erschweren, ist unverkennbar. Die Verteidigung der so kriminalisierten Pazifisten hatte der pensionierte Richter am OLG Dr. Helmut Kramer übernommen. Er gab in der Hauptverhandlung eine Selbstanzeige zu Protokoll, dass er sich wiederholt für die Rechte anderer eingesetzt hatte. So hatte er u.a. die Aufhebung eines NS-Todesurteils aus dem Jahre 1944 erwirkt. Deshalb und weil er auch in anderen Fällen altruistisch rechtsberatend tätig geworden war, wurde er nun gleichfalls wegen "missbräuchlicher Rechtsberatung" verurteilt. Dagegen richtet sich die Verfassungsbeschwerde von Helmut Kramer. Das am 13.12.1935 von den NS-Machthabern erlassene Rechtsberatungsgesetz ist in Europa und sogar weltweit einzigartig. Unter Androhung einer Geldbuße bis zu 5.000.- EUR verbietet es allen Bürgern, "geschäftsmäßig" andere rechtlich zu beraten oder sonst fremde Rechtsangelegenheiten ohne Erlaubnis "geschäftsmäßig" zu besorgen.
Die Möglichkeit der Erlaubniserteilung ist in Verschärfung des NS-Gesetzes seit 1980 auf einige wenige Berufsgruppen (Frachtprüfer, Inkassounternehmer usw.) beschränkt worden. Verfolgt werden kann zwar nur die "geschäftsmäßig" vorgenommene Rechtsberatung. Geschäftsmäßigkeit wird nach der im Jahre 1938 vom nationalsozialistischen Reichsgericht begründeten Rechtsprechung aber bereits bei einer rechtsberatenden Betätigung in nur einem einzigen Fall angenommen, wenn "Wiederholungsgefahr" besteht. Ausdrücklich ist auch die unentgeltliche, rein karitative Rechtsberatung verboten. Die Nationalsozialisten hatten das Rechtsberatungsgesetz erlassen, um damit den aus ihren Berufen hinausgeworfenen jüdischen und sonstigen politisch missliebigen Richtern und Rechtsanwälten die private, insbesondere auch unentgeltliche Ausübung ihrer beruflichen Fähigkeiten unmöglich zu machen. Dahinter stand nicht zuletzt der Gedanke, nicht in das NS-Regime eingebundene Juristen könnten "Volksschädlingen" und sonstigen "Staatsfeinden" bei ihrer Verteidigung zur Seite stehen.
EinTermin für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde steht zur Zeit (März 2004) noch nicht fest.