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Der lange Atem eines Nazi-Gesetzes

Der lange Atem eines Nazi-Gesetzes

Nürnberger Richter verurteilt einen Integrationshelfer, weil er jüdische Flüchtlinge juristisch beraten hat.

Götz Bockmann lebt isoliert in einer winzigen Wohnung, die er im Winter aus Geldmangel nicht beheizen kann. Sein Telefon hebt der unter Depressionen leidende 56-jährige, inzwischen arbeitslose Journalist nur noch selten ab. So gesehen könnten die zwei Wochen Erzwingungshaft, in die ihn die Nürnberger Justiz wegen einer nicht bezahlten Geldbuße nehmen will, seine Lebensumstände kaum verschlechtern. Ins Gefängnis möchte Bockmann aber dennoch nicht. Denn die 460 Euro Bußgeld hat sich der ehemalige Mitarbeiter der Jüdischen Wochenzeitung eingebrockt, weil er jüdischen Zuwanderern vor deutschen Behörden mit Rat und Tat zur Seite stand.

Aus Sicht von Richtern und Staatsanwälten machte er sich so der „geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten“ schuldig. Die ist in der Regel nur Rechtsanwälten erlaubt. Doch als Geschäftsführer eines Nürnberger Integrationshilfevereins wollte Bockmann im Sommer2000 nicht hinnehmen, wie Mitarbeiter des Nürnberger Sozialamts mit Hilfe suchenden Zuwanderern umsprangen, etwa mit jüdischen Flüchtlingen aus Tschetschenien. Die hatten ihm von Schikanen berichtet. In zwei Fällen seien dringend nötige Behandlungsscheine für Ärzte bewusst so lange verzögert worden, dass sie schon am nächsten Tag nicht mehr gültig waren. Eine jüdische Universitätsdozentin aus Grosny erinnert sich an die Bemerkung eines Sachbearbeiters, sie solle ihren schwer asthmakranken Sohn doch sterben lassen, dann verursache er keine Kosten mehr. Der menschenverachtende Satz sei nie gefallen, widersprach der stellvertretende Sozialamtsleiter Bodo Neeck. Er wies alle Anschuldigungen zurück. Bockmann aber erstattete nach den Schilderungen der Flüchtlinge Anzeige gegen die Stadt. Damit sollte er nur sich selbst schaden.

Die Nürnberger Staatsanwälte ermittelten nach Aktenlage keineswegs gegen die beschuldigten Mitarbeiter des Sozialamts-Süd. Umso konsequenter gingen sie gegen Bockmann vor. ImNovember2001 verurteilte ihn Amtsrichter Claas Werner wegen unerlaubter geschäftsmäßiger Rechtshilfe zu Geldbußen von insgesamt 900 Mark. Wegen seiner schlechten Vermögensverhältnisse, der Arbeitslose lebt heute von 480Euro Sozialhilfe im Monat, wurde ihm Ratenzahlung zugestanden. Diese verweigerte er. Der Journalist sieht sich als Opfer eines Gesetzes, das eine Rechtstradition des NS-Staats fortschreibt. Das hatte er – mit deutlichen Worten – auch Richter Werner gesagt. Das Rechtsberatungsgesetz wurde im Dezember 1935 im Gefolge der Nürnberger Rassegesetze erlassen. Ausführungsbestimmungen sorgten dafür, dass jüdischen Anwälten und Richtern, die „aus rassischen Gründen“ aus dem Amt gejagt worden waren, der juristische Beistand für bedrängte Leidensgenossen unmöglich gemacht wurde. Die Bestimmungen wurden 1945 gestrichen. Das Gesetz aber blieb.

Bockmann bekam Beistand von einem der hartnäckigsten Justizkritiker der Bundesrepublik. Helmut Kramer, ehemals Richter am Oberlandesgericht Braunschweig, focht im Ruhestand für die Aufhebung von NS-Todesurteilen und setzte sich unentgeltlich für Totalverweigerer ein. Dafür bekam er einerseits das Bundesverdienstkreuz – und handelte sich andererseits Bußgelder wegen unerlaubter Rechtsberatung ein.

Kramer beklagt den Starrsinn der Nürnberger Justiz, der er schwere Rechtsfehler anlastet. Kein Argument hätte Staatsanwälte und Richter davon abbringen können, dem schwer kranken Bockmann den Haftbefehl zustellen zu lassen. Selbst die anfangs zugestandene Ratenzahlung, mit der Bockmann doch noch begonnen hatte, wurde nachträglich verworfen. Er solle sich einschränken, um die volle Summe zu bezahlen, riet ihm das Landgericht. Seinem Richterkollegen Werner wirft Kramer vor, er habe im „eigenen Unfehlbarkeitsglauben“ offenbar keinen Gedanken darauf verschwendet, dass er einen Menschen, der jüdischen Flüchtlingen Beistand geleistet habe, ausgerechnet „aufgrund eines Gesetzes antisemitischer Herkunft“ verurteilt habe. Kramer hat die restliche Geldbuße Bockmanns jetzt aus eigener Tasche bezahlt.

Peter Schmitt
aus: Süddeutsche Zeitung 14.06.2003,

http://www.sueddeutsche.de/sz/bayern/red-artikel2886/