- Gräberfeld13a
Brief an Rat Wolfenbüttel
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Pink,
sehr geehrte Mitglieder des Rates der Stadt Wolfenbüttel,
ich erlaube mir, Ihr Interesse auf den Zustand des Gräberfeldes 13 a auf dem Lindener Friedhof zu lenken. Zwar ist der Bereich für die dort ruhenden sowjetischen und anderen Zwangsarbeiter in einer ordentlichen Verfassung. Der Bereich mit den Namenssteinen der sterblichen Überreste der Justizopfer ist aber seit geraumer Zeit in einem Zustand, den man nur unwürdig nennen kann.
1. Im Unterschied zu den dauerhaften Metallschildern für die Zwangsarbeiter sind die Grabplaketten für die Justizopfer ohne ersichtlichen Grund aus billigem Plastik. Auf die Grabsteine lediglich aufgeklebt, haben viele Namensplaketten sich bereits innerhalb der ungefähr zwei Jahre nach ihrer Verlegung bereits vom Stein gelöst. Vom Wind verweht, sind viele verschwunden. Unwürdig ist auch der Gesamtzustand. Alle Schilder sind bis zur Unkenntlichkeit stark verschmutzt, mit Laub, Erde und anderem Unrat bedeckt. Die Steinplatten für die Justizopfer sind wegen ihrer geringeren Stärke ihres und leichteren Gewichts nicht ausreichend im Erdreich verankert. Einige davon sind schon verrutscht oder haben sich gedreht, eine Platte ist fast im Erdreich verschwunden.
Es besteht wohl einiger Handlungsbedarf. In einer Zeit, in der sich endlich das Bewusstsein von der Notwendigkeit eines Gedenkens an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft durchgesetzt hat und auch die Stadt Wolfenbüttel sich schon seit jeher zu dieser Verpflichtung bekannt hat, macht es sowohl auf inländische als auch auf ausländische Friedhofsbesucher einen schlechten Eindruck, wenn sich ein Teil des Gräberfeldes in dem gegenwärtigen unwürdigen Zustand darbietet.
2. Zu den Maßnahmen, mit denen man Abhilfe schaffen könnte, möchte ich keine Empfehlungen machen, sondern lediglich Überlegungen anstellen:
· Man könnte bei den Justizopfern die unzweckmäßigen Plastikschilder durch verschraubbare Edelstahlschilder ersetzen.
· Anstelle eines Austausches der Namensplaketten an den Gräbern selbst könnte man auch an eine oder mehrere Stelen nach der Art der seit mehreren Jahren eingeführten Stelen für die sog. Gemeinschaftsgräber denken. Eine solche Regelung liegt vielleicht doppelt nahe:
Zum einen sind mehrere der Steine für die Justizopfer nicht in das gepflegte Rasenfeld eingebettet, sondern, zum Teil in unregelmäßiger Abfolge, in das bloße Erdreich versenkt. Im Unterschied zu den im gepflegten Rasen liegenden Grabsteinen ist die Überspülung von mit Erdreich vermischtem Regenwasser unvermeidbar. Zum anderen handelt es sich bei den Justizopfern weit überwiegend um die Opfer von Justizmorden. Darin liegt ein gewisser Unterschied zwischen den Opfergruppen. Ohne dass dadurch das den sowjetischen Kriegsgefangenen und den anderen Zwangsarbeitern angetane schwere Unrecht verkleinert wird, sind wohl fast alle Zwangsarbeiter nicht vorsätzlich umgebracht worden. Sie waren „nur“ Opfer der unmenschlichen Bedingungen, unter denen sie leiden mussten (Unterkunftsverhältnisse, Ernährung, medizinische und hygienische Umstände, strapaziöse Arbeitsbedingungen).
Wegen der entstehenden Kosten verweise ich auf die der Stadt infolge des Bundesgräbergesetzes zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel.
3. Bei einem nochmaligen Besuch des Gräberfeldes sind mir auch hinsichtlich der für die Zwangsarbeiter gewählten Lösung Zweifel gekommen. Zwar hat man die Grabsteine aus gutem Grund unter Bodenniveau gelegt. Das hat aber nicht ausgereicht. Ein Edelstahlschild ist abgerissen und zerfetzt, offensichtlich von dem Rasenmäher. Es liegt nun auf dem Sockel des Ehrenmals für die sowjetischen Kriegsgefangenen.
Im Unterschied zu den vegetationsarmen Wintermonaten sind viele der Grabsteine der Zwangsarbeiter schon Ende April zunehmend vom Rasen zugewachsen. Einige sind kaum noch zu sehen. Die meisten sind bis zur Unkenntlichkeit verschmutzt. Natürlich würde eine regelmäßige Reinigung und das sorgfältige Beschneiden der Rasenkanten rund um die Steine einen auf Dauer wohl nicht zu leistenden Aufwand erfordern. Aber auch hier könnte man die Stelen-Lösung wählen. Jedenfalls lässt sich schon jetzt absehen, dass in wenigen Jahren buchstäblich „Gras über die Vergangenheit“ wachsen wird. Stelen (etwa zehn oder ein Dutzend) wären eine dauerhafte und würdige Lösung. Sie würden viel stärker den Blick auf sich lenken als die vom Gras zugewachsenen Namensplaketten. Während eines längeren Aufenthaltes habe ich achtlos vorbeigehende Passanten beobachtet. Wie ich auf Befragen feststellte, wussten die meisten überhaupt nichts davon, was sich unter dem Rasen verbirgt. Noch weniger hatten sie jemals die Grabplaketten wahrgenommen. Selbst beim Überqueren der Rasenflächen sieht man sie nur bei genauem Hinschauen. Auf den Abschnitt der Justizopfer sollte möglichst eine zusätzliche Tafel aufmerksam machen. Sonst würde diese Grabplaketten kaum jemand finden.
Auch empfehle ich die Aufstellung eines Hinweisschildes ungefähr am Friedhofshauptweg, zumindest auch einen Wegweiser an der ersten Abbiegestelle in Richtung Gräberfeld. Die an vielen Stellen des Friedhofs stehenden Übersichtsplätze geben keinen Hinweis auf die Lage des am östlichen Ende des Friedhofs gelegenen Ortes des Gräberfeldes. Wenn ein wirklich dauerhaftes Gedenken an diese der breiten Öffentlichkeit fast unbekannten Opfer des NS-Regimes beabsichtigt ist, muß man die Stätte auch leicht finden können.
Dem, der von dem Gräberfeld schon anderweitig erfahren hat und es gern aufsuchen möchte, wird die Suche nicht erleichtert. Auf den an vielen Stellen des Friedhofs aufgestellten großen Übersichtstafeln ist es nicht markiert. Wer das Gräberfeld „13 a“ in der Nähe des Gräberfeldes 13 sucht, wird es dort nicht finden. Zumindest müsste klargestellt sein, dass das Gräberfeld 13 a sich im Bereich des Gräberfeldes 54 befindet. Nach der Zeichen-Erklärung (Legende) auf den Übersichtstafeln sind die sog. Kriegsgräber auf den Tafeln durch ein weißes Rechteck gekennzeichnet, das sich aus den großen dunkelgrünen Feldern abhebt. Bei den anderen Kriegsgräbern ist dies tatsächlich auch der Fall. So gibt es die weißen Felder auch für die Kriegsgräbern in der Nähe der Friedhofskapelle und für das Sammelgrab für die Opfer des Faschismus (Fritz Fischer, Alfred Perkampus und andere Opfer des Nationalsozialismus). Bei den Gräbern für die Zwangsarbeiter und (in dem erweiterten Sinn des Gräbergesetzes) auch bei den Justizopfern handelt es sich gleichfalls um Kriegsopfer. Für diese Gräber konnte ich aber auf den Tafeln kein weißes Feld finden. Nur der Kundige kann sich an dem braunen Punkt orientieren, der das Ehrenmal (Obelisk) für die sowjetischen Kriegsgefangenen auch unter dem Gräberfeld 54 markiert.
4. Zwar hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Jahr 2008 an dem Gräberfeld eine informative Geschichts- und Erinnerungstafel aufgestellt. Wegen ihrer Platzierung am östlichen Rand des Gräberfeldes wird diese von vom Haupteingang kommenden Passanten erst wahrgenommen, wenn sie das Gräberfeld fast schon hinter sich haben. Von dem nächstgelegenen Eingang (Ecke Leipziger Straße/Richterstraße) bemerkt man die Tafel nur bei zurückgewandtem Blick. Von dem wichtigen Standort Ehrenmal (Obelisk) aus fällt die Tafel überhaupt nicht auf, man sieht nur auf die Kante. So habe auch ich die Tafel erst bei meiner dritten ausführlichen Besichtigung bemerkt. Und warum hat man die Tafel nicht auf dem Gräberfeld selbst aufgestellt? Oder, was auch jetzt noch möglich ist, eine zweite, so platzierte Tafel, dass auch aus der Gegenrichtung kommende Passanten die Tafel im Blickfeld haben? Das würde zum Gang über das Gräberfeld ermuntern. Übrigens könnte die Tafel einen Frühjahrsputz vertragen. Sie ist unschön mit Moos und Algen bedeckt.
Sogar für Passanten bleibt der Ort ziemlich unauffällig. Es fehlt auch dort an jedem Hinweis. Zwar ist im September 2008 am Rand des Gräberfeldes eine Geschichts- und Erinnerungstafel aufgestellt worden.
5. Bei den Gräbern für die Justizopfer muß eine der Namensplaketten unverzüglich ausgetauscht werden. Es handelt sich um die Plakette für Moritz Klein, eines der bundesweit bekanntesten Opfer des Braunschweiger Sondergerichts. Fälschlicherweise ist die Grabplakette für Moritz Klein mit dem Namen „Moses Klein“ beschriftet, also mit seinem Zweitnamen, der ihm durch die Zwangsnamen-Verordnung vom August 1938 aufgezwungen wurde. Wegen der personenstandsrechtlichen Einzelheiten verweise ich auf meinen Artikel in der Zeitschrift „Ossietzky“. Zwei-Wochen-Schrift für Politik/Kultur/Wirtschaft, Heft 9/2012, ferner auf meine Webseite www.justizgeschichte-aktuell.de/291.html . (unter der Adresse www.justizgeschichte-aktuell.de/295.html finden Sie weitere Artikel aus meine Reihe in Ossietzky zur Gedenkstätte Wolfenbüttel – diese Reihe ist noch nicht abgeschlossen)
In der von der Gedenkstätte Wolfenbüttel und der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten herausgegebenen Dokumentation „Das Gräberfeld 13 a“, S. 27 ist Moritz Klein sogar als „Moses Israel Klein“ benannt. Bei den Einheitsnamen „Israel“ und (für weibliche Juden) „Sara“ handelt es sich um Schmähnamen, mit denen die Juden auch auf diese Weise aus der „Volksgemeinschaft“ ausgegrenzt wurden. Der Zwangsname „Israel“ war der verbale Judenstern. Von diesen Zusammenhängen konnten die so verdienstvoll an der Aktion „Gräberfeld 13 a“ mitarbeitenden Schüler natürlich nichts wissen. Sie sind ja erst im 21. Jahrhundert zur Schule gegangen. Warum niemand von den Historikern, durch die die Schüler angeleitet worden sind, den Fehler bemerkt hat, ist allerdings nicht ohne weiteres nachvollziehbar.
Unter www.kramerwf.de/graeberfeld13a finden Sie Bilder zum Gräberfeld vom April 2012.
Mit freundlichen Grüßen
Helmut Kramer
12. Mai 2012