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Überläufer

Es waren „simple verbrecherische Verräter“. Bei einem so herben moralischen Verdikt, wie es der Abgeordnete Norbert Geis in der Bundestagssitzung vom 10. Mai 2007 (Verhandlungen des Bundestages vom 10. Mai 2007, 16/9973) insbesondere über die „Überläufer“ der Wehrmacht gefällt hat, möchte man gern wissen, worum es hier geht. Ein „Überläufer“ ist ein Soldat, der in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit dem militanten Gegner in Überquerung der Front seine Truppe verlässt und sich in die Gewalt des Gegners begibt. Das Überlaufen zum Gegner ist eine der beiden Möglichkeiten zum Desertieren. Eine dritte Möglichkeit für einen Wehrmachtsoldaten, sich der ihm aufgezwungenen Mitwirkung an dem verbrecherischen Angriffskrieg zu entziehen, haben die Rehabilitierungsgegner nicht aufgezeigt. Auch dann, wenn die Überquerung der Front gelungen ist, war sie für die Wehrmachtsoldaten nicht risikolos. Angesichts der grausamen Art, in der die von der Wehrmacht gemachten sowjetischen Gefangenen behandelt wurden, konnte man vor allem auf sowjetischer Seite nicht ohne weiteres mit einer freundlichen Aufnahme rechnen. Doch war die Desertion durch Absetzen ins Hinterland noch risikoreicher. Denn dort drohte stets die Gefahr, durch die „Kettenhunde“ der Wehrmacht gefasst und vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt zu werden. Die Diffamierung der Überläufer ist nichts anderes als der Versuch, die Rehabilitierung der Deserteure im Unrechtsaufhebungsänderungsgesetz von 2002 zu relativieren.

In der Regel wird der Überläufer nach den Stellungen und Frontbewegungen der eigenen Truppe befragt. In ihrer prekären Situation werden viele der zu den alliierten Truppen übergelaufenen Wehrmachtsoldaten die Auskunft nicht verweigert haben. Gerade darin sieht Norbert Geis ihre Strafwürdigkeit einschließlich des Todesurteils „nach allen Maßstäben der zivilisierten Welt“. Im Ergebnis mutet er damit den Wehrmachtsoldaten zu, anstatt zu desertieren weiter an dem mörderischen und selbstmörderischen Krieg mitzuwirken. Dass der Zweite Weltkrieg ein verbrecherischer Angriffs- und Vernichtungskrieg war, spielt für ihn aber offensichtlich keine Rolle.

Die Rehabilitierungsgegner bedienen sich einer mehrfachen Fiktion: Danach ist jeder Verrat, auch der „Verrat“ des hitlerschen Krieges verwerflich. Verwerflich war insbesondere der Wechsel zu den sich gegen den Überfall durch Deutschland zur Wehr setzenden „Feinden“. Mit den „Feinden“ durfte ein deutscher Soldat sich nicht einlassen, auch wenn diese zugleich auf die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus hinwirkten. Weiter: Die Überläufer hätten schon bei ihrem Entschluss zur Desertion mit einer Befragung durch den Gegner und damit rechnen müssen, dass sie wahrheitsgemäß die Stellungen und Frontbewegungen der eigenen Truppe angeben würden, und diese Auskunft hätte auch im Einzelfall tatsächlich zu einer Gefährdung der eigenen Truppe geführt. Deshalb hätten sie gar nicht desertieren dürfen.

Weiter unterstellen die Rehabilitierungsgegner, dass mindestens ein Überläufer für seine Handlungsweise wegen Kriegsverrat verurteilt worden ist. Sie können aber, worauf es für die Entscheidung des Bundestages ankommt, kein einziges solches Urteil benennen und weichen auf die Unterstellung aus, es lasse sich das Vorhandensein eines solchen Urteils „nicht ausschließen“ (das einzige von den Rehabilitierungsgegnern benannte Urteil hat sich als freie Erfindung des von der CDU benannten Sachverständigen Professor Rolf-Dieter Müller herausgestellt, <link fileadmin user_upload kriegsverrat geschichtsfaelschung_im_dienst_der_politik-ossietzky.pdf download den>Startet den Datei-Download(vgl. Artikel „Geschichtsfälschung im Dienst der Politik“ in Ossietzky Nr. 23/2008).